Daphna Westermans bewegte Postkarten
Haben Sie selbst auch solch eine Postkarte in Ihrem Briefkasten gefunden? Oder sogar das ganze Roadmovie von Daphna Westerman aus unserem Kunstautomaten gezogen? Der Automat ist inzwischen restlos ausverkauft, aber der Film von Daphna läuft noch weiter. Spulen wir einfach ein bisschen zurück…
Bevor die Arbeiten der israelischen Künstlerin in unseren Kunstautomaten gelangten, bekam ich erst einmal Post. Außer meiner Adresse und dem Titel »U-Bahn Berlin. From In and between the cities, 2011. A Film by Daphna Westerman« stand auf der Karte nichts. Einige Tage später erhielt ich erneut Post. Zeit für ein Telefonat mit Daphna.
Daphna, warum hast Du Deine Postkarten nicht beschrieben?
Ich habe die Postkarte unbeschrieben gelassen, weil ich finde, das Bild spricht für sich. Es braucht keinen Zusatz. Wenn ich persönliche Worte hinzufüge, sind sie und nicht mehr die Karte selbst das Wichtigste. Ich wollte, dass das Bild im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Ich wollte, dass Leute das Bild betrachten, den Titel lesen und sich dazu eigene Gedanken machen.
Die Karten zeigen Aufnahmen aus Tel Aviv und Berlin aus den Jahren 2010 und 2011. Was aber hat es mit dem Titel »Aus In and between the Cities / Ein Film von Daphna Westerman« auf sich?
Als ich dieses Projekt 2010 begann, reiste ich viel durch die Gegend: wegen meiner Arbeit, meiner Eltern und meiner Freunde. Hauptsächlich durch Israel, aber auch nach Berlin. Dabei trug ich meine 35mm Kamera immer bei mir und dokumentierte jeden besuchten Ort. Ich fotografierte die Reise und ich fotografierte die Städte, ich fotografierte praktisch immerzu. Anfänglich wollte ich aus diesen Stills einen Film machen. Denn ich liebe Roadmovies. Vor allem die von Wim Wenders, die mich bei diesem Projekt inspiriert haben. Wim Wenders‘ Protagonisten reisen von einer Stadt zur anderen, halten alles fest, was sie erleben, sind immer unterwegs.
Du hast letztlich aber doch keinen Film, sondern eine Fotoserie erschaffen. Wie kam es dazu?
Bei der Durchsicht der Fotos entdeckte ich in den Bildern etwas, das mich plötzlich davon überzeugte, dass sie bereits Teil eines existierenden Films sind. Jedes Foto ist Teil eines großen Ganzen, und wenn du alle Bilder zusammenlegst, dann hast du das Gesamtbild. Für mich ist das nichts anderes, als ein Einzelbild aus einem Film auszuwählen. Und so entschied ich, dass es gar nicht nötig war, aus diesen Fotos einen echten Film zu machen, wenn ich doch einen fiktiven schaffen konnte.
Und warum hast du Postkarten aus den Fotos gemacht?
Um meinen Weg konzeptionell weiter gehen zu können, musste ich die Fotos verteilen, sie in Postkarten verwandeln und an Menschen verschicken. Dadurch wurde das ganze Projekt zu einem existierenden Film, der die Menschen teilhaben ließ an dem Gefühl, auf Reisen zu sein.
Für mich liegt der Bereich Post im öffentlichen Raum und ist doch zugleich etwas sehr Intimes. Mir liegt daran, mit meiner Kunst den direkten Zugang zu Menschen zu finden. Wenn Leute in eine Kunstgalerie gehen, betrachten sie oft Bilder an einer Wand. Das schafft, wie ich finde, eine gewisse Distanz. Man denkt: Jetzt bin ich in einem Museum, jetzt in einer Galerie. Und das ist deutlich weniger persönlich, als wenn du ein Kunstwerk in deinem Briefkasten vorfindest, auf dem auch noch dein Name steht.
Die Besucherinnen und Besucher des Jüdischen Museums Berlin konnten nicht nur Deine Postkarten in ihren Briefkästen finden, sondern auch etwas aus dem Kunstautomaten ziehen: Was genau war das?
Sie bekamen ein kleines Heft mit zehn Postkarten von Tel Aviv und Berlin. Das war meine Einladung an sie, Teil meiner Kunst zu werden, sie fortzuführen, sie anzuwenden, damit zu tun, was sie möchten. Es ging mir dabei nicht mehr nur um meine Reise, sondern darum, meinen Weg und den der Museumsbesucher miteinander zu verflechten.
Was genau sollten unsere Besucherinnen mit den Postkarten tun?
Na, sie natürlich verschicken! Diese Postkarten sind nicht dazu da, sie sich einfach nur an die Wand zu hängen. Man wählt eine aus, adressiert sie, klebt eine Briefmarke drauf und wirft sie in den nächsten Briefkasten. Ich hoffe sehr, dass die Leute meine Kunst an jemanden verschicken, um sie weiterzuführen. Also: Macht was draus!
Dann könnte man Deine Postkartenserie ja als ein interaktives Roadmovie verstehen. Was machst Du sonst noch für Arbeiten? Und welche Themen sind Dir wichtig?
Mich interessieren besonders urbane Geschichten, das Leben in der Stadt und seine Auswirkung auf uns. In jedem meiner Projekte beschäftige ich mich auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Perspektiven mit diesem Thema. So auch in diesem Kunstautomatenprojekt . Aber dieses Mal geht es nicht nur um das Bereisen von Städten, sondern auch um fehlende Verwurzelung, einen Mangel an Zugehörigkeit und das Gefühl von Bewegung.
Und woran arbeitest du zurzeit?
Ich arbeite an einem Video, das in meinem Studio in Tel Aviv spielt. Mein Studio ist übrigens in einem Bunker. Ich miete diesen Raum für wenig Geld von der Stadt. Ich habe dort viel Platz und das Gebäude ist mit allerlei Vorrichtungen gegen chemische Waffen und so etwas ausgerüstet. Wahrscheinlich klingt das sonderbar, aber für mich ist das leider Alltag.
Einige Zeit nach unserem Gespräch musste Daphna ihr Studio im Bunker räumen. Sie schrieb mir:
Meine Videoarbeit trägt den Titel »Four hours« und thematisiert die aktuelle Situation. Im Kriegsfall muss ich nämlich diesen Raum, der mir als Künstlerin als Studio dient, innerhalb von vier Stunden vollkommen räumen und verlassen, damit die Leute der Umgebung ihn als Bunker nutzen können. Und genau das ist während meiner Arbeit an dem Projekt geschehen, als wieder Krieg in Gaza ausbrach.
Inzwischen hätte Daphna Westerman wieder in ihr Studio zurückziehen können. Doch im Oktober ist sie für ein Masterstudium nach Weimar gegangen. Wir wünschen Dir alles Gute, Daphna!
Mehr zu Daphna Westermans Kunstwerk aus dem Kunstautomaten finden Sie hier.
Lisa Albrecht, Medien