Purim ist ein Familienfest, bei dem sich Kinder verkleiden, mit Ratschen lärmen und traditionelle Hamantaschen naschen. Bei so viel Heiterkeit mutet es ein wenig erstaunlich an, dass dieses Fest auf einer biblischen Geschichte basiert, die alles andere als fröhlich und jugendfrei ist.
Das Buch Esther, welches an Purim gelesen wird, berichtet von einer spektakulären Rettungsaktion des jüdischen Volks durch das Waisenmädchen Esther in dem von König Achaschwerosch regierten persischen Reich. Der unbekannte Autor verfasste die Geschichte im Stil einer literarischen Dichtung, in deren Handlungsverlauf Gott keine maßgebende Rolle zu spielen scheint. Vielmehr steht die List im Vordergrund, mit der es Esther und ihrem Onkel Mordechai gelingt, den Wesir Haman daran zu hindern, sein geplantes Pogrom gegen die persischen Juden in die Tat umzusetzen.
In fünf Kapiteln wird von Scheidung, Liebe, Eifersucht, Intrige, Hass und Mord berichtet und zwar so detailliert, dass man damit fünf Staffeln einer brasilianischen Telenovela füllen könnte. Die detailreichen Schilderungen inspirierten mich im vergangenen Sommer dazu, ein Kinderbuch zu verfassen.
Dabei empfand ich es als eine besondere Herausforderung, einen Bogen zwischen der biblischen Erzählung und einem fröhlichen Kinderfest zu spannen. Und es reizte mich, die Geschichte vom Überlebensgeist des jüdischen Volks und von einem Fest nachzuerzählen, das eine wichtige Stellung im Zyklus der jüdischen Feiertage einnimmt.
Ich begann damit, die Geschichte mit selbstgenähten Püppchen und orientalischen Requisiten zu inszenieren und baute in meinem Wohnzimmer persische Fantasielandschaften. Diese hielt meine Kollegin Nadja Rentzsch fotografisch fest und ich bearbeitete die Bilder in gefühlten 1001 Sommernächten bis zum Sonnenaufgang. Zugleich diskutierte ich mit Myriam Halberstam, der Gründerin des Ariella-Verlags, eifrig über die nicht-jugendfreien Stellen des Esther-Buchs – wie zum Beispiel über das Schicksal der Königin Waschti, die sich weigerte vor den Gästen ihres Mannes zu tanzen. Laut den Schriftquellen wurde Waschti umgebracht. Wir einigten uns darauf, dass Waschti und König Achaschwerosch sich scheiden ließen – bevor dieser Esther heiratete.
Das Ergebnis unserer Diskussionen und bildlichen Szenen, mein Buch »Die schlaue Esther« ist im Februar beim Ariella Verlag erschienen. Nach gut jüdischer Manier werden Texte und Bilder an den Seiten kommentiert. So stellen der rothaarige Shlomo und sein humorloses Schaf Mendel in Sprechblasen klar, dass die Bestrafung des Judenhassers Haman in der »Esther-Rolle für Erwachsene« etwas weniger zimperlich ausging – aber damals waren ja auch »brutale Zeiten«.
Das Ergebnis meines Freizeit-Buchprojekts eröffnete mir auch in meiner Arbeit am Familien-Programm zu Purim im Jüdischen Museum Berlin neue Perspektiven: Im Eingang der Akademie baute ich eine Installation auf, die den Besucher in eine Fantasie-Welt entführt.
Eine riesige Esther-Rolle wird dabei zur Bühne für orientalisch gekleidete Puppen und eine persische Landschaft. Ich entschied mich, die Rolle nicht mit hebräischer Schrift zu versehen, da die Originaltexte für sehr fromme Juden als heilig gelten und ich mit meinem künstlerischen Experiment keine religiösen Gefühle kränken wollte. Die pittoreske Installation ist noch bis zum 30.März zu sehen.
Darüber hinaus lade ich die Leserinnen und Leser dieses Blogs herzlich zu einer multimedialen Lesung der Geschichte von der »schlauen Esther« am 7. März um 11 Uhr ein. Neben Esthers Bauchtanz und der Verköstigung mit Hamantaschen werden Sie hier allerlei Unerwartetem begegnen. Happy Purim für Groß und Klein!
Shlomit Tulgan, Autorin von »Die schlaue Ester«, Puppentheaterspielerin und Mitarbeiterin in der Bildungsabteilung