Während in den vergangenen Wochen überall Menschen in der Sommersonne brutzelten, ›backte‹ Daniel Wiesenfeld 100 neue Kunstwerke für unseren Kunstautomaten. Welch ein Glück, denn der Automat ist mittlerweile fast ausverkauft!
Es ist nun schon die dritte Reihe von Werken, die Daniel dem Jüdischen Museum Berlin überreicht, und keine Serie gleicht der anderen. Im April erhielten wir 100 Ölbilder, in denen sich der Künstler Grimassen schneidend selbst porträtierte, sowie 100 Kohlezeichnungen mit unterschiedlichsten Motiven. Bei seiner neuen Serie entschied sich Daniel für eine Technik, die sowohl für ihn selbst neu ist als auch im Kunstautomaten eine Premiere feiert: die Glasmalerei.
Vor einigen Tagen besuchte ich Daniel in Tempelhof. Hier in der Werkstatt eines Bekannten hat er die Möglichkeit, einen elektrischen Brennofen zu nutzen, der für die Produktion seiner Glasarbeiten unentbehrlich ist. Bis auf 650°C muss man das Glas stufenweise erhitzen, um die Farbe einzubrennen, dies hat er mir schon im Vorfeld verraten. Es ist ein drückend warmer Vormittag, und ich bin erleichtert, als mir Daniel erklärt, dass er den Ofen nur über Nacht laufen lässt. Gerade ist der nächtliche Brennvorgang beendet und die warmen, ›frisch gebackenen‹ Glasplatten liegen zum Abkühlen noch im Ofen. Weitere kleinformatige Glasscheiben liegen verteilt auf einem Tisch. Sie zeigen Einblicke in dunkle Innenräume: ein Wohnzimmer, eine Küche, ein Schlafzimmer. Auf einigen sind nur einzelne Einrichtungsgegenstände zu sehen: ein alter Schaukelstuhl, ein Beistelltisch mit Blumenvase oder ein prächtiges Himmelbett. Menschen sind nicht zu erkennen. »A bed, a chair, a table« heißt diese Serie handgefertigter Unikate.
Auf dem Tisch steht ein verschlossenes Glas mit schwarzem Pulver. Das Etikett zeigt einen Totenkopf und andere Warnsymbole. Daniel Wiesenfelds Glasarbeiten sind aus herkömmlichem Fensterglas gefertigt, das er mit Schwarzlot bemalt hat. Schwarzlot ist ein Farbpulver, das in seiner ursprünglichen Form aus Bleioxid besteht und schon im Mittelalter zur Glasmalerei verwendet wurde, heute jedoch wenig gebräuchlich ist. Daniel musste lange suchen, bis er schließlich eine bleifreie Version fand.
Die ästhetische Wirkung der Schwarzlotmalerei kommt erst bei Lichteinfall zum Vorschein. Die gläsernen Innenräume wirken auf mich wie Bilder aus vergangenen Zeiten – wie alte, schon leicht verblasste Schwarzweißfotografien.
Diese Assoziation ist gewollt. Bewusst orientiert sich Daniel bei der Auswahl seiner Motive an historischen Raumansichten, etwa aus der Zeit der Belle Epoque. Doch nicht nur die Motive stammen aus der Vergangenheit, auch die Bilder unterliegen einem künstlichen ›Verwitterungsprozess‹. Mit verschiedenen Techniken erzeugt Daniel den Effekt, dass die Räume geheimnisvoll, fast geisterhaft wirken – wie hinter einem zarten Schleier.
Im Gespräch führt er aus, dass es ihm besonders wichtig sei, bewohnte Räume zu erschaffen, ohne konkrete Personen zu zeigen. »Die Menschen sind nicht mehr da, aber diese Räume aus unterschiedlichen Vergangenheiten lassen sie noch erahnen. Die Präsenz der Menschen hallt in ihnen nach wie ein Echo.«
Die menschliche Präsenz im gemalten Bild ist ein zentrales Thema in den Arbeiten von Daniel Wiesenfeld. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass er vor allem als Porträtmaler bekannt wurde. Viele seiner Porträts sind als Auftragsarbeiten entstanden. (Eine Auswahl ist auf Daniels Homepage zu finden.) Daniel erzählt: »Porträts haben mich schon als Kind fasziniert – Bilder, die den eigenen Blick erwiderten und mehr lebendiges Gegenüber als Abbild zu sein schienen. Mir ist bei meinen eigenen Porträts wichtig, über die oberflächliche Wiedergabe bloßer Ähnlichkeit hinaus einen tieferen Einblick in das Wesen der gemalten Personen zu ermöglichen.«
Daniel ist in den USA geboren und in Bayern aufgewachsen. Er studierte Kunst, mit Schwerpunkt Malerei, an der Akademie der Bildenden Künste in München und am Queens College in New York. Seit 2000 lebt er mit seiner Familie in Berlin und stand in den letzten Wochen in engem Kontakt mit den Kuratorinnen der Dauerausstellung, in welcher der Kunstautomat zu finden ist. »Solche Projekte wie der Kunstautomat bringen einen dazu, sich intensiver mit den Arbeiten auseinanderzusetzen«, meint Daniel. Und so führt ein Projekt zum Anderen. Aus den ersten Glasplatten der Serie »A bed, a chair, a table« schuf Daniel eine gleichnamige Installation, die Teil der Ausstellung »Black & White« im HilbertRaum wurde. Die »gläsernen Interieurs« waren an Nylonfäden an einem Tisch befestigt, der kopfüber von der Raumdecke hing. Wie ein gläsernes Windspiel, bei dem sich je nach Lichteinfall ein anderer Raum dem Betrachter eröffnete.
Bevor ich mich verabschiede und in die glühende Mittagssonne hinaustrete, schildert Daniel mir noch sein neuestes Projekt: eine Verbindung aus Öl- und Glasmalerei. Räumlichkeit, Perspektive und Lichteffekte sind nur einige Stichpunkte, die er nennt. Es hört sich sehr spannend an. »Ich habe noch viele Ideen im Kopf«, sagt er. »Ich glaube, dass darin noch viel Potential steckt.«
In die Geheimnisse der Glasmalerei einweihen ließ sich Anna Golus, die nun brennend neugierig Daniels nächstes Projekt erwartet.