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Zeugnis jüdisch-nicht­jüdischer Handels­beziehungen im 18. Jahr­hundert

Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764, Ankauf, 2007

Aufgeschlagenes Buch im Ledereinband mit einer Illustration reitender und flanierender Menschen vor einem herrschaftlichen Gebäude, daneben die Titelei von Der vollkommene Pferde-Kenner

Wolf Ehrenfried von Reizenstein, Der vollkommene Pferdekenner, Simon Meyer Hochfürstliche priviligierte Buchdruckerei, Uffenheim 1764; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. BIB/154287/0, Foto: Jens Ziehe

Es ist Dezember 2007. Den Kurator*innen stehen noch Gelder zum Ankauf von Sammlungsobjekten zur Verfügung, und bei der Auktion von Sothebey’s in New York wird am 19. Dezember 2007 das Buch Der vollkommene Pferdekenner von 1764 angeboten. Es ist ein einzigartiges Objekt, wie geschaffen für die 2001 eröffnete Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin. Mit ihm lässt sich exemplarisch zeigen, wie sich im 18. Jahrhundert das Leben und der Handel zwischen jüdischer und nichtjüdischer deutscher Bevölkerung auf dem Land gestaltete, insbesondere im Fränkischen Ansbach.

Umfänglich und detailreich wird geschildert, was man über Pferde und den Umgang mit ihnen wissen muss. Auf dem Titelblatt ist weiter zu lesen:

„Der vollkommene Pferdekenner, welcher nicht nur alle Schönheiten, Fehler und verschiedene Landes-Arten der Pferde zu erkennen gibt, sondern auch anweist, wie man mit dem Pferd von seinem Ursprung an umgehen muß; wie es zum Reiten und Fahren anzugewöhnen ist; wie Sattel, Zäumung und Beschlag beschaffen seyn muß; wie alle Krankheiten zu erkennen und mit den bewährten Mitteln zu heilen sind; wie man bei dem Wallachen, Englisiren und anderen chirurgischen Operationen an denen Pferden verfähret, nebst einem alphabetischen Verzeichnis derer von denen Juden sonderlich auf Roß-Märkten gebräuchlichen hebräischen Wörter, Redens-Arten und ihrer Art zu zählen“.

Abbildung mit neun gezeichneten Hufeisen unterschiedlicher Form

Abbildung aus Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. BIB/154287/0, Foto: Jens Ziehe

Ankauf und Ausstellung

Der Auktionstermin am 19. Dezember 2007 rückt näher. Das Gremium der Kurator*innen berät sich und entscheidet, das Buch zu ersteigern. Wie immer ist die Aufregung bei einer Auktion groß. Wird es gelingen, den Zuschlag zu bekommen? Alle fiebern mit, und die Freude ist groß, als der „Hammer fällt“ und wir das Los mit der Nummer 161 ersteigern können.

Bald ist die Zahlung erfolgt, der Transport abgewickelt, das Werk von den Restaurator*innen begutachtet und für die Dauerausstellung hergerichtet. Nun entscheidet die zuständige Kuratorin, an welcher Stelle das Buch aufgeschlagen und welche der detailreichen Abbildungen zuerst gezeigt wird. Am liebsten hätte man nun mehrere Exemplare, um nicht nur diese eine Abbildung zeigen zu können. Leider muss auch die kurze prägnante Beschreibung auf dem Ausstellungslabel viele Fragen unbeantwortet lassen, die sich Museumsbesucher*innen stellen könnten.

Verfasser und Publikum

Warum und für wen wurde dieses Buch geschrieben? Das Buch wurde im Auftrag des Markgrafen Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach (1736–1806) publiziert. Der Herausgeber und vermutliche Verfasser einiger Teile ist der süddeutsche Adlige Baron Wolf Ehrenfried von Reitzenstein (1712–1778). Er stand als Oberstallmeister im Dienst des Markgrafen. Das Werk richtete sich als Hand- und Wörterbuch an all jene, die beim Handel mit jüdischen Pferdehändlern, Hilfe beim Verstehen der Sprache benötigen.

Zeichnung eines adlig gekleideten Reiters auf einem sich vorne aufbäumenden Pferd

Ausklappbare Abbildung aus Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. BIB/154287/0, Foto: Jens Ziehe

Aufgeschlagenes Buch mit einem „Anhang, woraus diejenigen Redens-Arten können erlernet werden, deren sich die Juden in ihrem Umgang gegen einander und sonderlich auf Roß-Märkten bedienen“

Anhang in Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. BIB/154287/0, Foto: Jens Ziehe

Jüdische Pferdehändler

Zur damaligen Zeit lag der Handel mit Tieren, wie auch der Geldverleih für den Ankauf von Saatgut, in ländlichen Regionen vornehmlich bei Jüdinnen*Juden. In erster Linie waren es Pferde, die die adligen Dienstherren zur Repräsentation, zum Ausreiten und für die Ausstattung ihrer Kavallerie benötigten. Für die deutschen Bäuer*innen waren sie unerlässliche Arbeits- und Transporttiere. Der Bedarf war groß.

Für den Handel brauchten Jüdinnen*Juden keinen Zunftnachweis. Sie verfügten über weit verzweigte Handelsnetze, und in vielen Fällen über ausreichend finanzielle Liquidität, um ihn betreiben zu können.

Jiddisches Handelsvokabular

Es war aber auch sprachliche Verständigung untereinander von Nöten, und daran mangelte es im täglichen Miteinander. In dem beigefügten Sprachführer werden über 1.500 Wörter aufgelistet. Zum einen aus dem Westjiddischen (Judendeutsch) und zum anderen aus dem Hebräischen stammende Wörter und Begrifflichkeiten werden erklärt und übersetzt. Nichtjüdische Händler*innen sollen befähigt werden ein kompetentes Verkaufsgespräch zu führen. Im Anhang finden sich des Weiteren fünf beispielhafte Dialoge, wie sie zwischen den Händlern haben stattfinden können.

Zeichnung eines Pferdes mit vielen Ziffern an verschiedenen Körperteilen

Abbildung aus Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. BIB/154287/0, Foto: Jens Ziehe

Aufgeschlagenes Buch mit den Überschriften „Erstes Gespräch, zwischen zween Juden.“ und „Zweytes Gespräch, vom Pferd=Handel“

Beispiel-Dialoge im Anhang von Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. BIB/154287/0, Foto: Jens Ziehe

Das Buch wird zu einem wichtigen Handelshandbuch damaliger Zeit. Die Tatsache, dass innerhalb nur weniger Jahre drei Auflagen gedruckt werden, bezeugt das.

Mehr erfahren

Wer noch mehr erfahren möchte, hat die Möglichkeit, das Werk im Lesesaal von Archiv und Bibliothek einzusehen oder nutzt eine inzwischen digitalisierte Ausgabe des Werkes. Für vertiefende Informationen ist der wissenschaftliche Beitrag von Renate Evers in dem „Shared History Projekt“ des Leo-Baeck-Instituts zu empfehlen.

Ulrike Sonnemann, Leiterin Bibliothek

Der vollkommene Pferdekenner

Zum Digitalisat der SLUB Dresden

Der Marktplatz war der Haupt-Begegnungsort von Juden und Christen

Zum Beitrag beim Leo Baeck Institute Year Book

Zitierempfehlung:

Ulrike Sonnemann (2021), Zeugnis jüdisch-nicht­jüdischer Handels­beziehungen im 18. Jahr­hundert. Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764, Ankauf, 2007.
URL: www.jmberlin.de/node/8183

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