Zeugnis jüdisch-nichtjüdischer Handelsbeziehungen im 18. Jahrhundert
Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764, Ankauf, 2007
Es ist Dezember 2007. Den Kurator*innen stehen noch Gelder zum Ankauf von Sammlungsobjekten zur Verfügung, und bei der Auktion von Sothebey’s in New York wird am 19. Dezember 2007 das Buch Der vollkommene Pferdekenner von 1764 angeboten. Es ist ein einzigartiges Objekt, wie geschaffen für die 2001 eröffnete Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin. Mit ihm lässt sich exemplarisch zeigen, wie sich im 18. Jahrhundert das Leben und der Handel zwischen jüdischer und nichtjüdischer deutscher Bevölkerung auf dem Land gestaltete, insbesondere im Fränkischen Ansbach.
Umfänglich und detailreich wird geschildert, was man über Pferde und den Umgang mit ihnen wissen muss. Auf dem Titelblatt ist weiter zu lesen:
„Der vollkommene Pferdekenner, welcher nicht nur alle Schönheiten, Fehler und verschiedene Landes-Arten der Pferde zu erkennen gibt, sondern auch anweist, wie man mit dem Pferd von seinem Ursprung an umgehen muß; wie es zum Reiten und Fahren anzugewöhnen ist; wie Sattel, Zäumung und Beschlag beschaffen seyn muß; wie alle Krankheiten zu erkennen und mit den bewährten Mitteln zu heilen sind; wie man bei dem Wallachen, Englisiren und anderen chirurgischen Operationen an denen Pferden verfähret, nebst einem alphabetischen Verzeichnis derer von denen Juden sonderlich auf Roß-Märkten gebräuchlichen hebräischen Wörter, Redens-Arten und ihrer Art zu zählen“.
Ankauf und Ausstellung
Der Auktionstermin am 19. Dezember 2007 rückt näher. Das Gremium der Kurator*innen berät sich und entscheidet, das Buch zu ersteigern. Wie immer ist die Aufregung bei einer Auktion groß. Wird es gelingen, den Zuschlag zu bekommen? Alle fiebern mit, und die Freude ist groß, als der „Hammer fällt“ und wir das Los mit der Nummer 161 ersteigern können.
Bald ist die Zahlung erfolgt, der Transport abgewickelt, das Werk von den Restaurator*innen begutachtet und für die Dauerausstellung hergerichtet. Nun entscheidet die zuständige Kuratorin, an welcher Stelle das Buch aufgeschlagen und welche der detailreichen Abbildungen zuerst gezeigt wird. Am liebsten hätte man nun mehrere Exemplare, um nicht nur diese eine Abbildung zeigen zu können. Leider muss auch die kurze prägnante Beschreibung auf dem Ausstellungslabel viele Fragen unbeantwortet lassen, die sich Museumsbesucher*innen stellen könnten.
Verfasser und Publikum
Warum und für wen wurde dieses Buch geschrieben? Das Buch wurde im Auftrag des Markgrafen Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach (1736–1806) publiziert. Der Herausgeber und vermutliche Verfasser einiger Teile ist der süddeutsche Adlige Baron Wolf Ehrenfried von Reitzenstein (1712–1778). Er stand als Oberstallmeister im Dienst des Markgrafen. Das Werk richtete sich als Hand- und Wörterbuch an all jene, die beim Handel mit jüdischen Pferdehändlern, Hilfe beim Verstehen der Sprache benötigen.
Jüdische Pferdehändler
Zur damaligen Zeit lag der Handel mit Tieren, wie auch der Geldverleih für den Ankauf von Saatgut, in ländlichen Regionen vornehmlich bei Jüdinnen*Juden. In erster Linie waren es Pferde, die die adligen Dienstherren zur Repräsentation, zum Ausreiten und für die Ausstattung ihrer Kavallerie benötigten. Für die deutschen Bäuer*innen waren sie unerlässliche Arbeits- und Transporttiere. Der Bedarf war groß.
Für den Handel brauchten Jüdinnen*Juden keinen Zunftnachweis. Sie verfügten über weit verzweigte Handelsnetze, und in vielen Fällen über ausreichend finanzielle Liquidität, um ihn betreiben zu können.
Jiddisches Handelsvokabular
Es war aber auch sprachliche Verständigung untereinander von Nöten, und daran mangelte es im täglichen Miteinander. In dem beigefügten Sprachführer werden über 1.500 Wörter aufgelistet. Zum einen aus dem Westjiddischen (Judendeutsch) und zum anderen aus dem Hebräischen stammende Wörter und Begrifflichkeiten werden erklärt und übersetzt. Nichtjüdische Händler*innen sollen befähigt werden ein kompetentes Verkaufsgespräch zu führen. Im Anhang finden sich des Weiteren fünf beispielhafte Dialoge, wie sie zwischen den Händlern haben stattfinden können.
Das Buch wird zu einem wichtigen Handelshandbuch damaliger Zeit. Die Tatsache, dass innerhalb nur weniger Jahre drei Auflagen gedruckt werden, bezeugt das.
Mehr erfahren
Wer noch mehr erfahren möchte, hat die Möglichkeit, das Werk im Lesesaal von Archiv und Bibliothek einzusehen oder nutzt eine inzwischen digitalisierte Ausgabe des Werkes. Für vertiefende Informationen ist der wissenschaftliche Beitrag von Renate Evers in dem „Shared History Projekt“ des Leo-Baeck-Instituts zu empfehlen.
Ulrike Sonnemann, Leiterin Bibliothek
Zitierempfehlung:
Ulrike Sonnemann (2021), Zeugnis jüdisch-nichtjüdischer Handelsbeziehungen im 18. Jahrhundert. Der vollkommene Pferdekenner, Uffenheim 1764, Ankauf, 2007.
URL: www.jmberlin.de/node/8183
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