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Das Gastmahl wird restituiert

Die Geschichte einer Recherche

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des National­sozialismus erinnert unter anderem an die bis heute spür­baren Folgen des ver­brecherischen NS-Regimes. Eine dieser Folgen ist, dass sich in vielen Museen noch immer Kultur­güter befinden, die ihren Besitzer*innen zwangs­weise während der NS-Zeit entzogen wurden. Im Dezember 2016 restituierte das Jüdische Museum Berlin nun die Ölskizze Das Gastmahl der Familie Mosse an die Erben von Felicia Lachmann-Mosse. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Und wie geht das überhaupt mit der Provenienz­forschung, die in den letzten Jahren zunehmend an Auf­merksam­keit gewonnen hat und oft für Rauschen im medialen Blätter­wald sorgt?

Ölgemälde in goldenem Rahmen: eine feiernde Tischgesellschaft.

Diese Ölskizze mit dem Titel Das Gastmahl der Familie Mosse wurde an die Erben­gemeinschaft nach Felicia Lachmann-Mosse restituiert; Foto: Jüdisches Museum Berlin, Jens Ziehe

Allgemein gesprochen geht es darum, heraus­zufinden, ob ein Kunst­werk (oder auch ein Buch oder anderes Kultur­gut) in der Zeit des National­sozialismus seine Besitzer*innen wechselte, ob es ihnen widerrechtlich entzogen, also enteignet oder zwangsweise verkauft wurde. Sollte sich das für ein Objekt heraus­stellen, haben sich die deutschen Museen, Biblio­theken und Archive verpflichtet, es den recht­mäßigen Erb*innen zurück­zugeben.

Seit April 2015 bin ich am Jüdischen Museum mit den Recherchen zur Geschichte der Gemälde und Skulpturen in der Sammlung betraut. Eines der ersten Kunst­werke, mit denen ich mich aus­führlich beschäftigt habe, ist die auf Leinwand gemalte Skizze Das Gastmahl der Familie Mosse von dem Berliner Maler Anton von Werner. Sie ist die Vor­arbeit zu einem monu­mentalen Wand­bild, mit dem der Berliner Verleger Rudolf Mosse den Maler im Jahr 1899 beauf­tragt hatte. Das Original war mit Maßen von zwei­einhalb auf fünf Meter so groß, dass es eine ganze Wand­länge ein­nahm. Im Speise­saal des so genannten Mosse-Palais am Leipziger Platz, einer groß­bürger­lichen Stadt­villa, die Rudolf Mosse in den 1880er-Jahren kaufte und nach seinen Vor­stellungen umbauen ließ, fand das Wand­bild seinen Platz. In den Gesell­schafts- wie auch in den Privat­räumen der Villa war die Kunst­sammlung Rudolf Mosses unter­gebracht, die bereits seit den ersten Jahren des 20. Jahr­hunderts für Besucher*innen zugänglich war und häufig in Publikationen der damaligen Zeit Erwähnung fand.

Schwarz-Weiß-Fotografie eines Gastmahl-Gemäldes.

Fotografie des zerstörten Wand­bilds Anton von Werners von 1899 im Speise­saal des Palais Mosse am Leipziger Platz 15; Universität der Künste Berlin

Diese Kunst­sammlung wurde im Jahr 1934 bei zwei Berliner Auktions­häusern ver­steigert. Zu dem Zeit­punkt waren die Eigen­tümer*innen, Felicia Lachmann-Mosse, Tochter von Rudolf Mosse, ihr Ehemann Hans sowie die drei Kinder bereits seit über einem Jahr aus Deutsch­land geflohen und lebten in der Schweiz, in Frankreich und in England. Nach Kriegs­ausbruch emigrierte die Familie weiter in die USA. Teile der Kunst­sammlungen aus den drei repräsenta­tiven Wohn­sitzen der Familie konnte sie retten und mit in die Emigration nehmen oder sich nach­schicken lassen. Der größte Teil der Sammlungen aber wurde enteignet, verkauft und in alle Winde zerstreut.

Nur sehr mühsam lassen sich die Wege der einzelnen Kunst­werke nach­voll­ziehen. Als ich anfing, nach Informationen zu dem bei uns im Museum befindlichen Gastmahl-Bild zu forschen, war nur bekannt, dass es das Berlin Museum, der Vor­gänger des heutigen Jüdischen Museums Berlin, im Jahr 1990 im West­berliner Kunst­handel gekauft hatte. Außer­dem war schnell klar, dass es nicht zu den Bildern gehörte, die in einer der beiden Auktionen 1934 ver­kauft wurden, denn es ist in den dazu­gehörigen Katalogen nicht erwähnt.

Ölgemälde eines Mannes mit Bart, schwarzem Anzug und dunklem Mantel.

Portät Rudolf Mosse (1843–1920) von Franz von Lenbach, Öl auf Leinwand, 1898; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 1999/132/0, Schenkung von George L. Mosse, Foto: Jens Ziehe – mehr zum Objekt in unseren Online-Sammlungen

Zunächst prüfte ich alle Unter­lagen, die im Jüdischen Museum Berlin selbst zu dem Ölbild existieren. Sie zeigten, dass bereits zum Zeit­punkt des Ankaufs im Jahr 1990 mit einem Nach­fahren des ehemaligen Besitzers Kontakt auf­genommen wurde, um von ihm etwas über das Bild zu erfahren. Leider konnte sich Rudolf Mosses Enkel, der amerikanische Historiker George L. Mosse, damals nicht mehr an die Skizze erinnern. Umso lebendiger war seine Erinnerung an das originale Wand­bild, das mit seinen riesigen Aus­maßen den Speise­saal im Haus seines Groß­vaters Rudolf Mosse dominierte. Auch in späteren Jahren wurde vom Jüdischen Museum Berlin immer wieder einmal versucht, mehr über das Bild zu erfahren – jedoch stets ohne Näheres darüber heraus­zubekommen.

Mein nächster Weg führte mich zum Akten­studium in die Archive. Im Rahmen der Rück­erstattungs- und Wieder­gutmachungs­verfahren der Bundes­republik Deutsch­land versuchte die Familie Mosse nach dem Ende des Zweiten Welt­kriegs ihren Besitz zurück­zubekommen. Daraus wurde ein jahre­langer Kampf, der Unmengen an Akten produzierte. Diese wälzte ich also über mehrere Wochen hinweg im Landes­archiv Berlin und in diversen anderen Behörden, die mit der Rück­erstattung und Ent­schädigung in Berlin beauf­tragt waren. Aber die Gastmahl-Skizze war nirgend­wo erwähnt. Ich versuchte auch über Recherchen in Katalogen, in der zeit­genös­sischen Literatur, in Kunst­handels- und Bild­daten­banken Spuren des Bildes zu finden. Vergeblich.

Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass Provenienz­recherchen sehr müh­selig sind und ohne Erfolg bleiben. Nur in den seltensten Fällen reicht ein Blick in die ein­schlägigen Daten­banken oder auf die Rück­seite eines Gemäldes aus, um zu klären, wem es früher gehört hat und unter welchen Umständen er*sie es verloren hat.

Digitalisat des Titelblatts der „Kunstsammlung Rudolf Mosse, Berlin“.

Auktions­katalog Lepke, Mai 1934; CC-BY-SA 3.0 DE Universitäts­bibliothek Heidelberg. Der Katalog lässt sich auf der Website der Universitätsbibliothek Heidelberg digital durch­blättern.

Bei der Gastmahl-Skizze im Jüdischen Museum Berlin fand ich erste Hinweise dann in einer als „Mosse-Nachlass“ betitelten Sammlung von Briefen prominenter Persönlich­keiten an Rudolf Mosse und seine Frau Emilie. In einem der Briefe schreibt der beauf­tragte Maler Anton von Werner, dass er die Skizzen beim Auftrag­geber ablieferte. Und in der Online-Sammlung des Leo-Baeck-Instituts befindet sich ein Katalog zur Kunst­sammlung von Rudolf Mosse, in dem die Skizze erwähnt wird. 

Katalog zur Kunst­sammlung von Rudolf Mosse

Online durchblättern auf archive.org

Den ent­scheidenden Beleg aber brachte die Suche im Archiv des Kunst­händlers Karl Haber­stock, der mit der Ver­steigerung der Kunst­sammlung Mosse beauf­tragt war: Dort fand ich eine Schätz­preis­liste für die Kunst­werke, die im Frühjahr 1934 ver­steigert wurden. Auf dieser Liste, im August 1933 in Vor­bereitung der Auktionen erstellt, steht die Gastmahl-Skizze. Auch wenn es keinen Nachweis gibt, dass sie bei einer der beiden Zwangs­auktionen verkauft wurde, so ist damit doch belegt, dass sich das Bild zu einem Zeit­punkt in dem Berliner Haus befand, als die Familie Mosse selbst schon nicht mehr in Deutsch­land war. Sie hat also keine Verfügungs­gewalt über das Bild oder einen etwaigen Verkaufs­erlös gehabt. Nach den Richt­linien des Bundes, der Länder und der Kommunen in Deutsch­land ist somit von einem verfolgungs­bedingten Entzug auszu­gehen.

Darum hat das Jüdische Museum Berlin sich ent­schlossen, die Ölskizze Das Gastmahl der Familie Mosse an die Erben­gemeinschaft nach Felicia Lachmann-Mosse zu restituieren. Die Erben­gemeinschaft als recht­mäßiger Besitzer erklärte sich nach der Rück­gabe aber bereit, das Bild als Leih­gabe für ein Jahr in der Dauer­aus­stellung des Museums zu belassen. 

Maschinenschriftliche Liste mit Kunstwerken und Preis.

Rosenhagen-Liste; Kunst­sammlungen und Museen Augsburg, Haberstock Archiv, HB/3/Be/470a

Dr. Heike Krokowski schaut den Gemälden gern auch mal auf die Rückseite.

Zitierempfehlung:

Heike Krokowski (2017), Das Gastmahl wird restituiert. Die Geschichte einer Recherche.
URL: www.jmberlin.de/node/10622

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