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Kunstwerk von Mary Flanagan, das schwebende Mauern vor blauem Himmel über blauem Meer zeigt.

Mary Flanagan, [borders: chichen itza], 2010

Access Kafka

Ausstellung

Kafka kommt nach Berlin! 100 Jahre nach Franz Kafkas Tod öffnet das Jüdische Museum Berlin mit seiner Aus­stellung Access Kafka neue Türen zu seinem Werk: Hand­schriften und Zeich­nungen aus Franz Kafkas Nach­lass begegnen Gegen­warts­kunst etwa von Yael Bartana, Maria Eichhorn, Anne Imhof, Martin Kippen­berger, Maria Lassnig, Trevor Paglen oder Hito Steyerl. Dabei stehen universelle und zeitlose Fragen nach Zugängen im Mittel­punkt.

13. Dez 2024 bis 4. Mai 2025

Übersichtsplan mit allen Gebäuden, die zum Jüdischen Museum Berlin gehören. Der Altbau ist grün markiert

Wo

Altbau 1. OG
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin

Der Begriff „Access“ bedeutet im weiteren Sinn die Erlaubnis, Freiheit oder Fähig­keit, einen Ort – auch einen imaginären oder virtu­ellen Raum – zu betreten oder zu ver­lassen. Fragen nach Einlass und Zuge­hörig­keit sind ein wieder­kehrendes Motiv in Kafkas litera­rischen Texten. Die beklem­menden Beschrei­bungen der Des­orien­tierung, Über­wachung und sinn­entleerter Regel­werke sind heute in anderer Hinsicht relevant als zu Kafkas Schaffens­zeiten: In einem Zeit­alter um­fassender Digitali­sierung, in dem soziale Netz­werke, künst­liche Intel­ligenz und Algo­rithmen anonymi­siert Zugänge ver­walten, ver­schwimmen die Grenzen zwischen Privat­sphäre und öffent­lichem Raum. Diese Umstände bestimmen Bedingungen der gesell­schaft­lichen Teil­habe. Werke der Gegen­warts­kunst reflektieren diese Fragen – auch in Bezug auf die Rolle von Kunst und Künst­ler*innen­tum selbst. Die Aus­stellung Access Kafka und das Begleit­programm laden dazu ein, diesen Reflexionen zu folgen, an ihnen teil­zunehmen und sie weiter­zuführen.

Künstler*innen: Cory Arcangel, Yuval Barel, Yael Bartana, Guy Ben-Ner, Marcel Broodthaers, Marcel Duchamp, Maria Eichhorn, Mary Flanagan, Ceal Floyer, Lynn Hershman Leeson, Tehching Hsieh, Anne Imhof, Fatoş İrwen, Franz Kafka, Uri Katzenstein, Lina Kim, Martin Kippenberger, Maria Lassnig, Michal Naaman, Trevor Paglen, Alona Rodeh, Roee Rosen, Gregor Schneider, Hito Steyerl

„Wer Künstler werden will, melde sich.“ (Franz Kafka, Der Verschollene)

Erfahren Sie auf dieser Seite mehr zu den einzelnen Aus­stellungs­kapiteln:

Access Denied

Die Verweigerung von Zugang ist in unserer Gesell­schaft all­gegen­wärtig – ob in wirtschaft­lichen, politischen oder privaten Bereichen. Kafka, der promovierte Jurist, macht die Ver­weigerung in seinen Texten greif­bar: Josef K. droht der Prozess, ohne dass er weiß, warum und durch wen; der zum „Unge­ziefer“ ver­wandelte Gregor Samsa wird von seiner Familie ausge­grenzt; der Mann vom Lande wartet ver­geblich auf Einlass „vor dem Gesetz“. Fast hätte Kafka den heute nahezu unbe­grenzten Zugang zu seinem eigenen Werk ver­hindert: Er verfügte, dass alle seine Manu­skripte nach seinem Tod ver­nichtet werden. Bei aller Offen­heit der Kunst zeigt Kafka biografisch und in seinen Texten, dass es ungewiss bleibt, wann etwas zu Kunst und jemand zum Künstler wird, und wer darüber bestimmt: die Kunst­schaffenden selbst? Das Publikum? Oder doch der Arbeits­markt?

Tuschezeichnung eines Männchens, das in einer Art Gatter steht.

Franz Kafka, Schwarzes Notiz­buch – Zeich­nungen, ca. 1923; סימול ARC. 4* 2000 05 037, Max Brod Archiv, National Library of Israel

Kafkas letzter Wille

Franz Kafka starb am 3. Juni 1924. Er war erst 40 Jahre alt. Fast hätte Kafka der Nach­welt den Zugang zu seinem in großen Teilen unpubli­zierten Nach­lass ver­weigert. Erfahren Sie mehr anhand dieser testa­menta­rischen Notiz:

Handschriftlicher kurzer Brief von Franz Kafka an Max Brod, siehe Transkription auf der Website.

Testamen­tarische Notiz an Max Brod, aus: Franz Kafkas Nachlass­verfügungen („Testa­mente“), 1921-1922; סימול ARC. 4* 2000 05 050 Max Brod Archiv, National Library of Israel

Transkription der testamentarischen Notiz an Max Brod (1921/22)

Liebster Max, meine letzte Bitte: alles was sich in meinem Nach­lass (also im Bücher­kasten, Wäsche­schrank, Schreib­tisch zuhause und im Bureau, oder wohin sonst irgend­etwas vertragen worden sein sollte und Dir auffällt) an Tage­büchern, Manu­scripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem u.s.w. findet restlos und ungelesen zu ver­brennen, ebenso alles Geschriebene oder Gezeichnete, das Du oder andere, die Du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man Dir nicht über­geben will, soll man wenigstens selbst zu ver­brennen sich verpflichten.

Dein

Franz Kafka

„Nur nicht auf halbem Wege stehen­bleiben, das war nicht nur in Geschäften, sondern immer und überall das Un­sinnigste.“ (Franz Kafka, Der Prozess, 1914/15)

Kafkas Arbeit

Kafka war von Beruf promo­vierter Jurist. Seine Berufung war die Literatur. Er bezeichnete beides als Arbeit.

Die folgende Manu­skript­seite aus dem unvoll­endeten Roman Der Verschollene, 1914 geschrieben, gibt Ein­blicke in seine Arbeit. Es ist die erste Seite des vermuteten Abschluss­kapitels über die Erlebnisse des Prota­gonisten Karl Roß­mann mit dem Theater von Okla­homa.

Handschriftlies Manuskript von Franz Kafka mit diversen Streichungen und der Überschrift: „Letztes Kapitel“, Transkription unter dem Bild.

Erste Seite des Frag­ments Naturtheater von Oklahoma, vermutlich das Abschluss­kapitel des unvoll­endeten Romans Der Verschollene (Amerika), 1914, Tinte und Bleistift auf Papier, 25 × 20,5 cm; MS. Kafka 42, fol. 18r, Bodleian Libraries, University of Oxford

Transkription der ersten Seite des Naturtheater von Oklahoma

Karl sah an einer Straßen­ecke ein Plakat mit folgender Aufschrift: „Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Theater in Okla­hama aufge­nommen! Das große Theater von Oklahama ruft euch! Es ruft nur heute, nur einmal! Wer jetzt die Gelegen­heit versäumt, versäumt sie für immer! Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist will­kommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort! Wer sich für uns entschieden hat, den beglück­wünschen wir gleich hier! Aber beeilt euch, damit Ihr bis Mitter­nacht vorge­lassen werdet! Um zwölf Uhr wird alles geschlossen und nicht mehr geöffnet! Verflucht sei, wer uns nicht glaubt! Auf nach Clayton!“

Es standen zwar viele Leute vor dem Plakat, aber es schien nicht viel Beifall zu finden. Es gab so viel Plakate, Plakaten glaubte niemand mehr. Und dieses Plakat war noch unwahr­scheinlicher, als Plakate sonst zu sein pflegen. Vor allem aber hatte es einen großen Fehler, es stand kein Wort von der Bezahlung darin. Wäre sie auch nur ein wenig erwähnens­wert gewesen, das Plakat hätte sie gewiss genannt; es hätte das Verlockendste nicht ver­gessen. Künstler werden wollte niemand, wohl aber wollte jeder für seine Arbeit bezahlt werden.

Für Karl stand aber doch in dem Plakat eine große Verlockung. „Jeder war willkommen“, hieß es. Jeder, also auch Karl. Alles, was er bisher getan hatte, war vergessen, niemand wollte [ihm daraus einen Vorwurf machen.] 

Franz Kafka 
Der Verschollene (Amerika), 1914
Auszug aus dem unvoll­endeten Roman und Beginn seines vermutlich letzten Kapitels „Das Natur­theater von Oklahoma“

Access Wort

In gegen­wärtigen Kom­munikations­formen werden Zugänge durch Symbole, Slogans, Codes und Emojis auf­gezeigt und die Schrift durch Pikto­gramme ersetzt. Worte werden Bilder. Kafka wählt das Schreiben und den Text als Zugang zu seiner Vor­stellungs­welt – ein Über­gang, der für ihn mit großer Konzen­tration ver­bunden ist. Er schreibt in einer Bild­sprache, die häufig Türen und Fenster auf­greift, und Er­fahrungen der Aus­grenzung und des Ein­dringens sichtbar macht. Selten schildert er das Aus­sehen seiner Prota­gonist*innen oder die Schau­plätze seiner Erzählungen. Die Illustration seiner Werke möchte er am liebsten ver­bieten. Seine eigenen Zeich­nungen sind symbol­artig kom­primiert. Der Autor kon­zentriert sich aufs Wesent­liche und über­lässt die Aus­schmückungen der Fantasie seines Publikums.

Handschriftlich geschriebene Postkarte mit grüner Briefmarke und Poststempel sowie Stempel von Max Brod's Literary Estate.

Franz Kafka, Post­karte an Sophie Brod mit einer Lese­empfehlung zu Der Tag der Vergeltung, 26.2.1911, Bleistift auf bedrucktem Karton; 9,3 × 14,1 cm; סימול ARC. 4* 2000 05 044, Max Brod Archiv, National Library Israel

„Wer sucht, findet nicht, aber wer nicht sucht, wird gefunden.“ (Franz Kafka, Aphorismen, 13.12.1917)

Kafkas Bilder­rätsel

Franz Kafka und seine Übersetzerin ins Tschechische Milena Jesenská sind gute Freund*innen und haben von 1919 bis 1920 eine kurze, aber intensive Liebes­beziehung. Erfahren Sie mehr darüber aus folgendem Brief an Milena vom 28. Juli 1920:

Handschriftliche Briefseite, bei der auch noch die seitlichen Ränder beschrieben wurden, Transkription im umgebenden Text.

Ein „schweres Bilder­rätsel“, Brief an Milena Jesenská, 28.07.1920, Tinte auf Papier, 23 × 14,4 cm; DLA, D 80.15/18, Deutsches Literatur­archiv Marbach

Transkription des Briefs an Milena Jesenská (Auszug)

An Milena Jesenská [Prag, 28. Juli 1920] Mittwoch 

[„…spuckte ich auf der Civil­schwimm­schule etwas Rotes aus. Das war merk­würdig und interessant, nicht? Ich sah es ein Weil­chen an und vergaß es gleich. Und dann geschah es öfters und über­haupt wann ich aus­spucken wollte brachte ich das Rot zustande, es lag ganz in meinem Belieben. Da war es nicht mehr interessant] sondern lang­weilig und ich vergaß es wieder. Wäre ich damals gleich zum Arzt gegangen – nun so wäre alles wahr­scheinlich genau so gewesen, wie es ohne den Arzt geworden ist, nur wusste aber damals niemand von dem Blut, eigent­lich auch ich nicht, und niemand hatte Sorgen. Jetzt hat aber jemand Sorgen, also bitte, geh zum Arzt. 

Merkwürdig dass Dein Mann sagt, er werde mir schreiben das und das. Und schlagen und würgen? Ich verstehe das wirklich nicht. Ich glaube Dir natürlich voll­ständig, aber es ist mir so sehr unmöglich es mir vorzu­stellen, dass ich gar nichts dabei fühle, so wie wenn es eine ganz fremde ferne Geschichte wäre. So wie wenn Du hier wärest und sagtest: „Jetzt in diesem Augen­blick bin ich in Wien und es wird geschrien und so.“ Und wir würden beide aus dem Fenster gegen Wien hin schauen und natür­lich wäre nicht der geringste Anlaß für irgend­eine Auf­regung. 

Aber doch etwas: Vergißt Du nicht manch­mal wenn Du von der Zukunft sprichst, dass ich Jude bin? (jasná, nezapletená) [klar, unkompliziert]. Gefähr­lich bleibt es, das Juden­tum, selbst zu Deinen Füßen.“

Access Judentum

Ob Kafka ein jüdischer Schrift­steller ist, beant­wortet er am besten selbst: In seinem Tage­buch fragt er „Was habe ich mit Juden gemein­sam?“ und erwidert sogleich „Ich habe kaum etwas mit mir gemein­sam.“ In seinen Texten ver­handelt Kafka Zu­gehörig­keit und Aus­schluss, gemein­schaft­liche und indivi­duelle Erfahrungen auf eine ebenso ambi­valente wie uni­verselle Weise und ist damit erstaunlich aktuell – ob jemand zu einer sozialen Gruppe, einem Staat oder einer Religion gehört, ist weder eindeutig noch konstant. Kafka selbst kommt aus einer assimi­lierten, liberal-jüdischen Familie, schreibt nicht explizit über das Judentum, lernt jedoch Hebräisch und interessiert sich für Zionis­mus. Seine größte Be­geisterung gehört dem jiddischen Theater: Hier erfährt er einen jüdischen Gemein­schafts­sinn. In der Kunst findet sein selbst­reflexiver, ambi­valenter Bezug zur Gesell­schaft einen Platz.

Bleistiftzeichnung eines männlichen Gesichts, das die Betrachtenden direkt ansieht, unten rechts Stempel von Max Brod's Literary Estate.

Franz Kafka, Selbst­porträt, ca. 1911; סימול ARC. 4* 2000 05 086, Max Brod Archiv, National Library of Israel

Kafka lernt Hebräisch

Kafka spricht zu Hause, unter Freunden und im Studium Deutsch. Im Familien­geschäft und auf der Arbeit wird vermehrt Tschechisch gesprochen. Kafka studiert zusätzlich seit 1917 im Eigen­studium Hebräisch. 1922/23 nimmt er Privat­unterricht bei Puah Ben-Tovim (1903–1991), die in Jerusalem geboren wurde und auf Empfehlung Hugo Bergmanns, Kafkas Freund und Leiter der Hebräischen National­bibliothek in Jerusalem, zum Studium nach Prag kommt.

Es ist nicht ein­deutig belegt, warum Kafka Hebräisch lernt. Mögliche Beweg­gründe sind Kafkas zeit­weilige Über­legungen, nach Britisch Mandats Palästina auszu­wandern. Die Wörter in Kafkas Vokabel­heft geben Auskunft, womit er sich u.a. beschäftigte:

Aufgeschlagene Doppelseite eines Heftes mit handschriftlich notierten deutsch-hebräischen Vokabeln.

Franz Kafka, Hebräi­sches Vokabel­heft, 1922–1923, Tinte und Bleistift auf Papier, 10,2 × 17,2 cm; MS. Kafka 30, Bodleian Libraries, University of Oxford

Access Gesetz

Kafkas Erzählung Vor dem Gesetz handelt von einem Mann, der zeit­lebens Eintritt in das Gesetz verlangt. Ein Tür­hüter hält ihn davon ab, die für ihn vor­gesehene Schwelle zu über­treten. Einen Grund nennt der Wächter nicht. Als Jurist und Beamter verbindet Kafka Fragen über das Gesetz mit der Kunst: Ihn beschäftigt das sinn­entleerte Regel­werk der Büro­kratie, die anonyme Fremd­bestimmung der Gewalten, das Ein­dringen in die Privat­sphäre und die Unzu­gänglich­keit der Macht. In den Räumen des ehe­maligen Kammer­gerichts, der heutigen Aus­stellungs­fläche des Museums, hält Kafkas Zeichnung Hüter der Schwelle Wache. Welche Ver­ant­wortung haben die Künst­ler*innen, ein Licht auf das zu werfen, was hinter der bewachten Schwelle steht?

Bleistiftzeichnung einer großen, tierhaften Figur über einer Menge sehr kleiner Menschen.

Franz Kafka, Zeichnung, 1901–1907, Blei­stift auf Papier, 17,1 × 10,6 cm; סימול ARC. 4* 2000 05 080, Max Brod Archiv, National Library Israel

Der Prozess von Kafkas Process

Ausschnitt aus dem Buchcover „Franz Kafka: Der Prozess“ vom Verlag Die Schmiede mit typografisch blau-schwarz-weiß gestaltetem Cover.

Ausschnitt aus dem Buchcover von Franz Kafka: Der Prozess. Berlin: Die Schmiede, 1925.

„,Wie ein Hund!‘ sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.“ (Franz Kafka, letzter Satz aus dem unvollendeten Roman Der Process)

Franz Kafka gelingt es nicht, seine drei Romane – Der Process, Das Schloss, Der Verschollene (Amerika) – zu Ende zu bringen. Hier ist der Schreib­prozess von Der Process nach Erkennt­nissen des Kafka-Biografen Reiner Stach wieder­gegeben:

Mai 1914 Erste Verlobung von Franz Kafka und Felice Bauer
12. Jul 1914           Im Berliner Hotel Askanischer Hof kommt es zur Entlobung. Kafka schildert das Ereignis als „Gerichtshof im Hotel“.
28. Jul 1914 Beginn Erster Weltkrieg. Kafka gilt ab 1915 als „unersetzliche Fachkraft“ der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt und wird nicht an die Front gerufen.
11. Aug 1914                     Kafka fängt an, Der Process zu schreiben. Zuerst entstehen das erste und das Schlusskapitel. Es ist vermutlich ein Versuch, das Buch auf jeden Fall zu Ende zu bringen. Doch Kafka vollende den Process nie.
Okt 1914 Kafka schreibt die Geschichte In der Strafkolonie.
Kafka schreibt das Kapitel Das Naturtheater von Oklahoma für den Roman Der Verschollene.
30. Nov 1914                     Tagebucheintrag Franz Kafka: „Ich kann nicht mehr weiterschreiben. Ich bin an der endgültigen Grenze, vor der ich vielleicht jahrelang sitzen soll.“
Okt–Dez 1914           Kafka schreibt die Türhüter-Legende Vor dem Gesetz. Die Geschichte ist Teil des Romans Der Process, wird aber getrennt veröffentlicht: erstmals am 7. Sep 1915, in Selbstwehr. Unabhängige jüdische Wochenschrift, Prag.
Jan 1915 Kafkas Konzentration reißt ab. Es gelingt ihm nicht mehr, den Process zu vollenden.
Jul 1916–1917        Zweite Verlobung mit Felice Bauer
1920 Kafka schreibt Zur Frage der Gesetze. Der kurze Text handelt von einer kleinen Adelsgruppe, die ,uns‘ durch geheime Gesetze beherrschen.

„... es ist doch etwas äußerst Quälendes, von Gesetzen beherrscht zu werden, die man nicht kennt.“ (Franz Kafka, aus Zur Frage der Gesetze, 1920)

„Jemand musste Josef K. ver­leumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ (Franz Kafka, erster Satz aus dem unvoll­endeten Roman Der Process)

Access Raum

Die Globali­sierung und das digitale Zeit­alter eröffnen manchen Menschen uner­wartete Räume, während anderen der Zutritt ver­wehrt wird. Die Grenze von privaten und öffent­lichen Bereichen ver­schwimmt. Auch für die Kunst gilt keine Be­schränkung auf Kunst­orte wie Galerien oder Museen. Wie ist die Kunst dann noch als solche zu erkennen? Oder hat sie vielleicht längst schon den Alltag infiltriert? Kafka nutzt in seinen Texten Motive wie Türen, Tore, Fenster, Schwellen oder Bauten, um Gefühlen der Aus­weg­losig­keit, Des­orien­tierung und Beklemmung eine Gestalt zu geben. In dieser von ihm geschaf­fenen erzähle­rischen Archi­tektur finden sich viele Lesende wieder.

Strichzeichnung von einer Person, die vor einem Rahmen steht und sich mit einem Arm an einer Stange festhält.

Kafka, Franz, Schwarzes Notiz­buch –  Zeich­nungen, ca. 1923; סימול ARC. 4* 2000 05 037, Max Brod Archiv, National Library of Israel

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus un­ruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem unge­heueren Ungeziefer verwandelt.“ (Franz Kafka, Die Verwandlung, 1912)

Die Verwandlung von Kafkas Wohnung

Kafka wohnt von 1907 bis 1913 mit seinen Eltern in der Nikolas­strasse in Prag. Die Wohnung ist im 4. Stock vom Haus zum Schiff. Dort schreibt er im November–Dezember 1912 seine berühmteste Erzählung: Die Verwandlung.

Die Wohnung der Familie Kafka hat den gleichen Grund­riss wie die Wohnung der Samsas aus der Verwandlung.

Grundriss einer 4-Zimmer-Wohnung plus Küche, Bad und Dienstmädchenzimmer.

Skizze des Kafka-Experten Hartmut Binder aus: Hartmut Binder, Kafkas Verwandlung, Frankfurt a. M./Basel: Stromfeld Verlag 2004, Abb. 22

„Von Saal zu Saal stehen aber Tür­hüter, einer mächtiger als der andere.“ (Franz Kafka, Vor dem Gesetz, ca. 1914)

Access Körper

In Kafkas Erzählungen sind Körper tierisch, werden ver­wandelt, mit Nadeln durch­stochen, von Würmern aus­gehöhlt, ausge­hungert und exe­kutiert. Seinen eigenen Körper empfindet er als schwach und unzu­reichend, obwohl er ihm das Schreiben ermöglicht – für Kafka eine äußerst physische Tätig­keit. Er beschreibt das Künst­lerische oft als per­formativ: Seine Künstler­figuren sind Dar­stellende, wie Josefine die Sängerin, der Hunger­künstler oder der Trapez­akrobat. Der Körper wird in der Kunst, vor allem in der Performance­kunst, zum Aus­tragungs­ort von Vor­schriften und Aus­grenzungen. In der Beschäfti­gung mit dem eigenen Körper­bild markieren Künst­ler*innen oft sich selbst als letzte Barriere zwischen Kunst und Publikum und knüpfen damit an aktuelle Gespräche über Inklusion, körper­liche Transformation oder Trans­humanismus an.

Dreieckiges Stück braunes Papier mit einer Bleistiftzeichnung, die nach Beinen mit vier Füßen aussieht.

Franz Kafka, Zeich­nung auf drei­eckigem Papier, ca. 1906, Bleistift auf braunem Papier,  10,4 × 8,3 × 7,8 cm; סימול ARC. 4* 2000 05 080, Max Brod Archiv, National Library Israel

Kafkas Körper

Die Bedeutung des Körpers ist bei Kafk­a sowohl bio­grafisch als auch literarisch zentral. Als Ange­­stellter der Arbeiter-Unfall­versicherungs­­anstalt für das König­reich Böhmen hat er mit Körper­­lichkeit zu tun. Kafka hält nicht viel von Psycho­analyse, teilt aber die Vor­stellung, dass Körper und Geist zusammen­hängen.

Ganzkörper-Aufnahme von Franz Kafka, stehend mit Mantel, Hut und Krawatte, die Hände vor dem dem Körper ineinander gelegt.

Franz Kafka; akg-images / Archiv K. Wagenbach

Kafkas Tiere

Franz Kafka integriert in seinen Werken häufig Tiere als zentrale Figuren.

„Es ist wunder­bar, wer kann das leugnen, daß diese Hunde in der Luft zu schweben imstande sind, im Staunen darüber bin ich mit der Hunde­schaft einig. Aber viel wunder­barer ist für mein Gefühl die Unsinnig­keit, die schweigende Unsinnig­keit dieser Existenzen. Im all­ge­meinen wird sie gar nicht begründet, sie schweben in der Luft, und dabei bleibt es, das Leben geht weiter seinen Gang, hie und da spricht man von Kunst und Künstlern, das ist alles. Aber warum, grund­gütige Hunde­schaft, warum nur schweben die Hunde? Welchen Sinn hat ihr Beruf?“ (Aus: Franz Kafka, Forschungen eines Hundes, 1922)

In der folgenden Bilder­galerie finden Sie einige Beispiele, illustriert für die Aus­stellung, jeweils mit dem ersten Satz der Erzählung:

Informationen zur Ausstellung im Überblick

  • Wann 13. Dez 2024 bis 4. Mai 2025
  • Eintritt 10 €, erm. 4 €
    Online-Tickets für ein bestimmtes Zeit­fenster erwerben Sie vor Ihrem Besuch im Ticket-Shop oder direkt an der Kasse.
  • Wo Altbau 1. OG
    Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
    Zum Lageplan
Kunstwerk von Mary Flanagan, das schwebende Mauern vor blauem Himmel über blauem Meer zeigt.

Alle Angebote zur Ausstellung ACCESS KAFKA

Über die Ausstellung
Aktuelle Seite: Access Kafka (13. Dez 2024 bis 4. Mai 2025) – aus­führ­liche Informationen zu den Ausstellungs­kapiteln und Kunst­werken
Begleitprogramm
Ausstellungs­eröffnung – 12. Dez 2024
Kurator*innenführung mit Shelley Harten – mit festen Terminen
Access Wort: JMB Buchclub Die Vegetarierin von Han Kang – 21. Jan 2025
Kafka und die Kunst – Vortrag von Hans-Gerd Koch – 30. Jan 2025
Access Wort: JMB Buchclub Der Hungerkünstler von Franz Kafka – 25. Feb 2025
Über Väter. Schreibworkshop mit Brunch und Führung – mit festen Terminen
Öffentliche Führung – mit festen Terminen
Öffentliche Führung auf Englisch – mit festen Terminen
Öffentliche Führung auf Hebräisch – mit festen Terminen
Buchbare Führungen für Gruppen – Termin nach Absprache
Buchbarer Workshop für Schüler*innen – Termin nach Absprache
Digitale Angebote
Einlass steht aus: Kafkas Judentum – Essay von Vivian Liska aus dem Ausstellungs­katalog, 2024
Themenseite Franz Kafka – Kurzbiografie und weitere Online-Inhalte zum Thema
Kafka in Berlin – Berlin-Spaziergang auf Jewish Places zu biografischen Stationen von Franz Kafka, verfasst von Hans-Gerd Koch
Publikationen
Katalog zur Ausstellung – deutsche Ausgabe, 2024
Katalog zur Ausstellung – englische Ausgabe, 2024

Gefördert durch

Die Beauftragte der Bundesregiertung für Kultur und Medien (Logo) Das Bild zeigt das Logo der Friends of the Jewish Museum Berlin in the U.S. Logo Freunde des JMB. Logo der Berliner Sparkasse mit rotem S mit Punkt obendrüber

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