Didaktik des Nahostkonflikts
Unsere Fellow Rosa Fava und ihr Forschungsvorhaben
Von Januar 2017 bis Mai 2018 war die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Rosa Fava als zweite W. Michael Blumenthal Fellow am Jüdischen Museum Berlin. Gefördert wurde ihr Postdoc-Forschungsprojekt Didaktik des Nahostkonflikts. Ziel dieses Forschungsprojekts ist eine Bestandsanalyse von Projekten, die Angebote für Schulen und Jugendgruppen zur Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt entwickeln und Fortbildungen für Lehrer*innen und andere Fachkräfte anbieten. Ob speziell der israelisch-palästinensische Konflikt im Fokus steht oder andere Akteure einbezogen sind, ist Teil der Fragestellung nach dem didaktischen Zuschnitt.
Bedeutungswandel des Nahostkonflikts
Sowohl in der Schule als auch in Politik und Öffentlichkeit wächst die Bedeutung des Nahostkonflikts, nicht zuletzt seit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 in der Knesset Israels Sicherheit quasi zur deutschen Staatsräson erklärte.
So verändert sich seit einigen Jahren auch das Lernen über den Nahostkonflikt; er erhält eine besondere Stellung und ist nicht länger lediglich ein Beispiel für „internationale Beziehungen und Konflikte“, wie in vielen Lehrplänen vorgesehen. Gleichzeitig gibt es Klagen, dass der Nahostkonflikt zu selten Thema an Schulen sei: Wachsendem, gegen Israel und jüdische Einrichtungen oder Personen hierzulande gerichtetem Antisemitismus werde so nichts entgegengesetzt. Lernen und Lehren über den Nahostkonflikt ist somit vielfach überfrachtet, emotional aufgeladen und oft unmittelbar politisch.
Fokus auf Fortbildungen für Multiplikator*innen
Im Fokus des Forschungsprojekts liegen Fortbildungen für Lehrer*innen und andere Multiplikator*innen in der außerschulischen Bildungsarbeit. Es lässt sich beobachten, dass viele Lehrkräfte den Nahostkonflikt einerseits für sehr wichtig halten, sich andererseits aber nicht zutrauen, Unterricht dazu durchzuführen, vor allem, wenn ihre Schüler*innen aus arabischen und/oder muslimischen Familien kommen. Sie wünschen sich daher Fortbildungen und auch externe Partner*innen zur Umsetzung von Workshops. Oft ist es ihnen wichtig, dass die Expert*innen enge persönliche Bezüge zum Nahostkonflikt mitbringen, wie etwa die Zugehörigkeit zu Islam oder Judentum, die Herkunft aus einem arabischen Staat, den palästinensischen Gebieten oder aus Israel.
Fragen an die neuen Lehrkonzepte und -materialien
Vor allem seit der Zweiten Intifada im Jahr 2000 und den Anschlägen in den USA 2001 sind viele Projekte und Initiativen entstanden, die den islamistischen und den israelbezogenen Antisemitismus und seine Rolle im Nahostkonflikt als Thema mit neuen Materialien und Seminarkonzepten aufgreifen.
Rosa Fava untersucht, wie die neuen Projekte in ihren Methoden und Materialien mit der emotionalen Aufladung des Nahostkonflikts umgehen und welche besonderen Kompetenzen sie Lehrer*innen und anderen Pädagog*innen vermitteln wollen. Wer sind die Akteur*innen in den neuen Bildungsträgern und welche Anliegen bringen sie mit? Wie sind die geschichts- und politikdidaktischen Prinzipien der Kontroversität, Multiperspektivität und Pluralität umgesetzt – wenn gleichzeitig Konflikte in Jugendclub und Klassenzimmer vermieden werden sollen? Wie werden Sachwissen und Emotionen zueinander in Beziehung gesetzt? Wie werden die unterschiedlichen Involvierungen in den Konflikt und identifikatorischen Bezugnahmen beachtet – gerade auch bei den sich oft als neutral und nicht direkt betroffen verstehenden Lehrenden und Teamenden?
Kurz: Was muss man können, um über den Nahostkonflikt zu unterrichten? Und gibt es allgemeine Leitlinien, die sich auf andere internationale Konflikte anwenden lassen, in die Jugendliche und Erwachsene unterschiedlich involviert sind und sich involvieren? Nicht zuletzt stellt sich die Frage: Wie übersetzt sich deutsche Staatsräson in Bildungsarbeit?
Materialanalysen, Hospitationen von Fortbildungsveranstaltungen und Interviews bilden die empirische Grundlage der Untersuchung. Aus den Ergebnissen sollen Empfehlungen entwickelt und veröffentlicht werden.
Dr. Rosa Fava
Rosa Fava hat Chemie und Geschichte für das Gymnasiallehramt studiert und war viele Jahre in der historisch-politischen Bildung tätig, unter anderem in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme/Hamburg und für Arbeit und Leben Hamburg. 2004 gehörte sie zu den Mitbegründer*innen der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus/Berlin. 2013 promovierte sie in Hamburg zur Neuausrichtung der Erziehung nach Auschwitz in der Einwanderungsgesellschaft. Eine rassismuskritische Diskursanalyse (erschienen 2015, Inhaltsverzeichnis abrufbar auf der Website des Metropol-Verlags). Sie publizierte zudem eine Reihe von Aufsätzen u. a. zu den Themen Erinnerung an Schwarze als Opfer des Nationalsozialismus und Antisemitismus in der deutschen Einwanderungsgesellschaft.
Schon vor Antritt ihres Fellowships war Rosa Fava am Jüdischen Museum Berlin tätig: Von Mai bis Dezember 2016 leitete sie in Elternzeitvertretung unsere Akademieprogramme. 2012 bis 2015 war sie Leiterin des Projekts Vielfalt in Schulen, das das Jüdische Museum Berlin in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und gefördert von der Stiftung Mercator durchführte.
2016 erstellte Rosa Fava eine Expertise für den Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages über Bildungs- und Begegnungsprojekte muslimischer Akteur*innen zur Prävention von Antisemitismus (erscheint online im Sommer 2017) und führte 2015 eine unveröffentlichte Befragung von Multiplikator*innen in der Bildungsarbeit gegen Antisemitismus im Auftrag der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus durch. Rosa Fava hält Vorträge und leitet Workshops zu ihren Arbeitsfeldern und berät zurzeit ein Projekt zur Aufarbeitung des Armeniergenozids in Deutschland.
Ab Juni 2018 können Sie Rosa Fava hier erreichen:
Kontakt
Dr. Rosa Fava
rosa.fava@amadeu-antonio-stiftung.de
Das W. Michael Blumenthal Fellowship wird gefördert durch die Berthold Leibinger Stiftung.