Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Samstag,
1. Juli 1933

Glückwunschadresse zum 50-jährigen Bestehen der Chemnitzer Firma Gebrüder Becker

Auf den ersten Blick bietet sich dem Betrachter kein ungewöhnliches Bild: Eine Firma feiert ihr 50-jähriges Jubiläum und blickt aus diesem Anlass auf die Erfolgsgeschichte der letzten Jahrzehnte zurück. Die Angestellten der Handschuhfabrik Gebrüder Becker in Chemnitz haben für ihren »sehr verehrten Chef« ein repräsentatives Geschenk vorbereitet: Ein großes, schweres Album aus blauem Leder, ausgeführt von einem Chemnitzer Buchkünstler. Innen einliegend auf Büttenpapier eine kalligrafisch aufwändig gestaltete Glückwunschadresse mit den persönlichen Unterschriften von 49 Belegschaftsmitgliedern sowie Porträtfotos der verstorbenen Firmengründer Eduard und Adolph Becker und ihrer Nachfolger, den Brüdern Arthur und Karl Becker.

Doch irgendetwas stimmt nicht – das wird deutlich, wenn man den Text genau liest. Der Firmenchef Arthur Becker (1893–1988) ist »an diesem Ehrentage« gar nicht in Chemnitz. »Hervorgerufen durch die derzeitigen Verhältnisse« kann er nicht gemeinsam mit seinen Mitarbeitern feiern und das Präsent entgegennehmen. Nach der brutalen Ermordung eines Aufsichtsratsmitglieds der Firma, des Rechtsanwalts Dr. Arthur Weiner, durch Mitglieder der Chemnitzer SA im April 1933 waren er und sein Bruder Karl mit ihren Familien in die Niederlande geflüchtet.

Der in der Glückwunschadresse formulierte Wunsch der Belegschaft, ihren Arbeitgeber, den »hochgeschätzten Pionier der deutschen Stoffhandschuhindustrie recht bald wieder unter uns zu haben«, sollte nicht in Erfüllung gehen. Die Beckers blieben in den Niederlanden und es gelang ihnen, noch vor dem Einmarsch der Deutschen 1940 nach Kanada zu entkommen. Die Firma wurde 1938 ›arisiert‹ und nach dem Krieg in der DDR in zwei volkseigenen Betrieben weitergeführt.

Die in Chemnitz geborenen Kinder von Arthur Becker und seiner Frau Charlotte, Fred Becker und Liesel Becker Sabloff, gehörten zu den ersten Stiftern des Jüdischen Museums, deren Familie nicht aus Berlin kam. Liesel Sabloff meldete sich im August 1999, nachdem sie in den »Canadian Jewish News« einen Artikel über das Jüdische Museum Berlin gelesen hatte. Die Schenkung des Nachlasses der Familie Becker, zu dem dieses Album gehört, erfolgte im Gedenken an ihre auf dem Chemnitzer Jüdischen Friedhof begrabenen Großeltern Lina and Eduard Becker, ihren Vater Arthur sowie zu Ehren ihrer Mutter, Charlotte Frank Becker, die 2001 im biblischen Alter von 100 Jahren verstarb.

Leonore Maier

Kategorie(n): Auswanderung | Chemnitz | Unternehmer
Glückwunschadresse zum 50-jährigen Bestehen der Chemnitzer Firma Gebrüder Becker, Chemnitz, 1. Juli 1933
Schenkung von Fred Becker und Liesel Becker Sabloff
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