Ein salomonisches Urteil
Schlüsselbund des Hauses der Familie Ziegler in Velten, ca. 1990, Schenkung von Ruth Ziegler, 2011
Seit 2011 ist ein Schlüsselbund mit drei Schlüsseln Teil der Sammlungen des Jüdischen Museums Berlin. Was macht einen Alltagsgegenstand, den viele Menschen täglich nutzen, interessant für das Museum? Welche Geschichte steckt hinter dem Objekt?
Rückgabe jüdischen Eigentums nach der Wiedervereinigung
Gehen wir zurück in das Jahr der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten: 1990 wurde – 45 Jahre nach Kriegsende – die Rückgabe jüdischen Eigentums im deutsch-deutschen Einigungsvertrag noch einmal auf die Agenda gesetzt – in der DDR war sie kein Thema gewesen. Zehntausende beantragten daraufhin die Restitution von Besitztümern ihrer Familien, die sie von 1933 bis 1945 in Folge von Zwangsverkäufen oder Enteignungen verloren hatten.
Eine der Antragstellerinnen war Ruth Ziegler: Ein Haus mit Grundstück in der Viktoriastraße im märkischen Velten hatte sich seit 1927 im Besitz ihrer Eltern befunden, bevor sie gezwungen waren, im November 1938 alles aufzugeben, darunter auch die Arztpraxis ihres Vaters, Dr. Heinrich Ziegler.
Die Familie flüchtete nach Britisch-Indien, Ruth wurde dort 1942 geboren. Ihre Eltern sahen das Grundstück nie wieder, 1960 kehrten sie aus dem Exil nach Deutschland zurück und lebten bis zu ihrem Tod in München, wo sie auf dem Israelitischen Friedhof in der Garchinger Straße begraben sind.
„Ein verwahrlostes Wrack“
Als Ruth Ziegler 1990 überlegte, einen Antrag auf Restitution zu stellen, wollte sie nicht, „dass damit wieder eine Familie ihr Zuhause verliert“ und sah sich das Grundstück an. Dort fand sie, nach ihren eigenen Worten, „ein verwahrlostes Wrack“ vor. Das Grundstück samt Praxis war 1938 von einem Arzt „arisiert“ worden, der nach Gründung der DDR mit seiner Familie in den Westen ging. Er überließ das Grundstück seiner Mutter, die es bei ihrem Tod den Enkelkindern im Westen vererbte, irgendwann wurde das Anwesen verstaatlicht.
Kaufpreis: 100 Deutsche Mark
Ruth Ziegler sah sich mit einem konkurrierenden Restitutionsantrag dieser Erben konfrontiert, eine Konstellation, die bei Restitutionsfällen nach 1990 nicht selten anzutreffen war. Es kam zum Prozess. Ruth Ziegler erinnert sich: „Das Gericht in Oranienburg musste das Grundstück ihnen als rechtmäßige Erben übergeben (vermutlich auch weil sie das Haus nicht direkt vom Aris€ geerbt hatten), hat sie aber in einem herrlich salomonischen Urteil dazu gezwungen, uns das Haus zu verkaufen – und zwar zu dem Preis Reichsmark zu Deutsche Mark 1 zu 1, den ihr Vater dafür „bezahlt“ hatte. Das kam auf knapp über 100 Deutsche Mark, die wir gerne zahlten und so ging das Haus in unseren Besitz über.“
Bevor Ruth Ziegler das denkmalgeschützte und marode Haus verkaufen konnte, musste sie noch einiges investieren, jedoch:
„Es war finanziell gewiss kein Gewinn, eher umgekehrt (das wusste ich schon früher), es ging mir aber dabei nur um die Gerechtigkeit meiner Familie gegenüber und die Tatsache, dass Zieglers wieder im Grundbuch standen“.
Einzig den Schlüsselbund, Symbol für die Wiederaneignung des Familienerbes, und eine Türklinke aus der Zeit, als ihre Eltern und der ältere Bruder in den 1930er Jahren dort lebten, hat sie mitgenommen.
Leonore Maier, Sammlungskuratorin
Zitierempfehlung:
Leonore Maier (2021), Ein salomonisches Urteil. Schlüsselbund des Hauses der Familie Ziegler in Velten, ca. 1990, Schenkung von Ruth Ziegler, 2011.
URL: www.jmberlin.de/node/8335