
Leonard Freed, Simchat Tora-Ball, Köln, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/8
Deutsche Juden heute
Leonard Freed
Weniger als 20 Jahre sind seit dem Abgrund der Schoa vergangen, als der amerikanisch-jüdische Fotograf Leonard Freed (1929–2006) Anfang der 1960er-Jahre mehrere Monate durch Westdeutschland reist. Mit seiner Kamera möchte er festhalten, wie deutsche Juden heute leben. Freed ist es ein Anliegen, mit seinen Aufnahmen der Unwissenheit der Deutschen über die unsichtbare jüdische Minorität in ihrem Land entgegenzuwirken. Er fotografiert in mehreren jüdischen Gemeinden, vor allem in den Gegenden um Frankfurt und Düsseldorf.
11. Nov 2024 bis 27. Apr 2025

Wo
Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
52 seiner Fotografien werden 1965 unter dem Titel Deutsche Juden heute publiziert und mit Textbeiträgen kombiniert. Sie nehmen die jüdische Gemeinschaft in den Blick und diskutieren über das Verhältnis von Juden und Deutschen. Jüdisches Leben ist fragil, es existieren nur wenige kleine Gemeinden, deren Existenz in- und außerhalb Deutschlands umstritten ist. Die Themen aus dem Buch von Freed werden auch in zwei Publikationen verhandelt, die bereits in den Jahren 1963 und 1964 erscheinen: In einer Ausgabe des Nachrichten-Magazins Der Spiegel mit der Schlagzeile „Juden in Deutschland“ sowie einem von Hermann Kesten herausgegebenen Band mit dem Titel ich lebe nicht in der Bundesrepublik. Die Frage nach der Möglichkeit, als Jüdin oder Jude in Deutschland zu leben, prägt eine Debatte, die bis heute andauert.
Alle 52 Fotografien der Serie von Leonard Freed sind Teil der Museumssammlung und wurden von der Witwe des Fotografen, Brigitte Freed, angekauft. Sie werden hier zum ersten Mal komplett ausgestellt.
Fotoserie Deutsche Juden heute von Leonard Freed

Leonard Freed, Marmorbüsten vor der Mauer des alten jüdischen Friedhofs, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/1.
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Leonard Freed, Jüdischer Friedhof, Worms, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/2.
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Leonard Freed, Grundsteinlegung für die neue Synagoge, Mainz, 18. Juni 1962; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/13.
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Leonard Freed, Wiedereinweihung der Synagoge, Worms, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/31.
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Leonard Freed, Neue Synagoge und neues Gemeindezentrum, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/3.
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Leonard Freed, Hugo Spiegel (1905–1987) als Schützenkönig, Warendorf, 1962; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/3.
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Leonard Freed, Im Jüdischen Krankenhaus, West-Berlin, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/4.
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Leonard Freed, Arm einer Frau mit eintätowierter Nummer des Konzentrationslagers Auschwitz, auf einem Schiff auf dem Rhein, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/5.
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Leonard Freed, Wohnung einer armen Familie, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/6.
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Leonard Freed, Fotografien von Verwandten im Gebetbuch eines Mitgliedes der Jüdischen Gemeinde, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/32.
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Leonard Freed, Holzgitter über den Blutgräben im ehemaligen Konzentrationslager, Dachau, 1965; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/7.
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Leonard Freed, In der polnischen Gebetsstube, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/9.
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Leonard Freed, Morgengottesdienst in der polnischen Gebetsstube, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/8.
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Leonard Freed, Beim Lesen der Tora in der polnischen Gebetsstube, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/9.
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Leonard Freed, Nach der Toralesung in der polnischen Gebetsstube, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/10.
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Leonard Freed, Hawdala-Zeremonie in der polnischen Gebetstube, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/11.
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Leonard Freed, Chanukka in der Jüdischen Gemeinde, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/5.
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Leonard Freed, Mädchen, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/12.
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Leonard Freed, Junges Ehepaar, Düsseldorf, 1962; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/13.
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Leonard Freed, Kerzenzünden am Schabbat, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/7.
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Leonard Freed, Großvater und Enkelin, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/10.
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Leonard Freed, Trauzeremonie in der Synagoge, West-Berlin, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/33.
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Leonard Freed, Bar Mizwa-Feier, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/14.
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Leonard Freed, Bar Mizwa, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/1.
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Leonard Freed, Der Polizeichef der Stadt im Jüdischen Gemeindehaus, Mainz, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/15.
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Leonard Freed, Der Oberkantor der Synagogengemeinde, Köln, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/16.
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Leonard Freed, Vor dem Gottesdienst in der Synagoge, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/17.
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Leonard Freed, Simchat Tora-Ball, Köln, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/8.
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Leonard Freed, Der Steinmetz Jakob Horowitz, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/18.
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Leonard Freed, Der Textilfabrikant Arno Lustiger (1924–2012), Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/12.
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Leonard Freed, Koschere Schlächterei an einer Straßenecke, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/11.
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Leonard Freed, Arbeitsraum der koscheren Schlächterei, Frankfurt am Main, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/6.
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Leonard Freed, Der Versicherungsinspektor Walter Seligmann, auf einem Schiff auf dem Rhein, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/19.
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Leonard Freed, Der Zeitungsverkäufer Streigold, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/2.
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Leonard Freed, Ernst Deutsch (1890–1969), West-Berlin, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/34.
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Leonard Freed, Alfred Kantorowicz (1899–1979), Hamburg, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/20.
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Leonard Freed, Herbert Lewin (1899–1982), Offenbach am Main, 1964; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/4.
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Leonard Freed, Fritz Kortner (1892–1970), München, 1962; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/35.
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Leonard Freed, Artur Brauner (1918–2019) mit seiner Familie, West-Berlin, 1962; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/36.
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Leonard Freed, Ludwig Marcuse (1894–1971), Frankfurt am Main, 1962; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/37.
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Leonard Freed, Therese Giehse (1898–1975), München, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/21.
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Leonard Freed, Willy Haas (1891–1973), Hamburg, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/22.
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Leonard Freed, Ida Ehre (1900–1989), Hamburg, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/38.
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Leonard Freed, Ausflug einer Gruppe des Erholungsheims in Bad Sobernheim, Burg Reichenstein, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/23.
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Leonard Freed, Junges Paar, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/39.
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Leonard Freed, Ferienkinder im Erholungsheim beim Hora-Tanzen, Bad Sobernheim, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/24.
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Leonard Freed, Ferienkinder beim Spiel, Bad Sobernheim, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/25.
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Leonard Freed, Die Jugendgruppe, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/26.
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Leonard Freed, Kinder im Turnverein Makkabi, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/27.
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Leonard Freed, Düsseldorfer Kinder in einem Schulheim, Westerwald, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/28.
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Leonard Freed, Ferienkinder aus Bad Sobernheim bei einem Ausflug, Burg Reichenstein, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/29.
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Leonard Freed, Kinder bei einem Herbstausflug, Westerwald, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/30.
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Vertiefende Beiträge der Kuratorinnen zur Ausstellung Deutsche Juden heute
Leonard Freeds Fotoserie Deutsche Juden heute
1961 und 1962 nimmt Leonard Freed die jüdische Gemeinschaft in Westdeutschland in den Blick. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich einem jüdischen Thema widmet. Bereits 1954 fotografiert er orthodoxe Jüdinnen und Juden in Williamsburg, in Brooklyn, New York, wo er geboren und aufgewachsen ist. 1958 veröffentlicht er 52 Aufnahmen einer umfangreichen Serie über jüdisches Leben in Amsterdam in seinem ersten Buch Joden van Amsterdam.
Für sein Projekt in Deutschland fotografiert er vor allem in den Gegenden um Frankfurt und Düsseldorf, aber auch in Bad Sobernheim, Berlin, Dachau, Essen, Hamburg, Köln, Mainz, München, Nürnberg, Offenbach, Warendorf, Worms, im Westerwald und in der Burg Reichenstein. Nur wenige Aufnahmen kommen ohne Menschen aus. Die Personenabbildungen sind keine klassischen Porträts, sondern geben Situationen und Stimmungen wieder.
Der historische Kontext
Nicht einmal 20 Jahre sind seit dem Ende der Schoa vergangen. Die wenigen jüdischen Gemeinden sind klein, insgesamt leben um die 25.000 Jüdinnen und Juden in Westdeutschland. Ihre Anwesenheit im „Land der Täter“ ist alles andere als selbstverständlich. Die meisten sind aus Mangel an Alternativen dort und sitzen „auf gepackten Koffern“. Auch außerhalb Deutschlands werden sie mit Unverständnis beobachtet. Und die Mehrheitsgesellschaft ist weiterhin durch Antisemitismus geprägt. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus kommt nur langsam in Gang. Nach dem Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem braucht es zwei weitere Jahre, bis der Auschwitz-Prozess in Frankfurt stattfindet. Diplomatische Beziehungen zwischen der BRD und Israel werden erst 1965 aufgenommen. Im selben Jahr diskutiert der Bundestag über die Verjährung von NS-Unrecht, gleichzeitig wünschen sich nicht wenige Bürger*innen einen „Schlussstrich“. 1966 tagt der jüdische Weltkongress in Brüssel, um über das Thema „Deutsche und Juden – ein ungelöstes Problem“ zu diskutieren – in Deutschland wäre eine solche Veranstaltung zu dieser Zeit noch undenkbar.
Freeds Anliegen
Leonard Freed versucht, mit seinen Fotografien der Unwissenheit der Deutschen über die unsichtbare jüdische Minorität in ihrem Land entgegenzuwirken. Es ist ihm ein wichtiges Anliegen – er beobachtet, wie Deutsche sich nicht mit ihrer jüngeren Vergangenheit auseinandersetzen wollen. Als er seine spätere Frau Brigitte kennenlernt und sie bei ihren Eltern in Dortmund besucht, sind auch seine Momente dort von diesem Eindruck geprägt. Neben Freeds aufklärerischer Motivation ist aber auch die Suche nach seiner eigenen jüdischen Identität prägend für das Langzeitprojekt.
Die Umsetzung des Fotoprojekts
Brigitte und Leonard Freed wohnen Anfang der 1960er Jahre bereits mit ihrer kleinen Tochter Elke Susannah in Amsterdam. Um für das Fotoprojekt gemeinsam in unterschiedliche deutsche Städte reisen zu können, lassen sie ihre Tochter immer wieder bei ihren Großeltern in Dortmund. Brigitte dolmetscht, organisiert Fototermine und ist bei den Aufnahmen dabei. Später stellt sie Abzüge in der Dunkelkammer her und beschriftet die Fotografien.
Aus mehreren tausend Bildern wählt Leonard Freed 52 Motive für das Buch aus, das er 1965 auf 96 Seiten mit dem Titel Deutsche Juden heute veröffentlicht. Die Gestaltung verantwortet der renommierte Designer Willy Fleckhaus und mehrere Beiträge von jüdischen Intellektuellen verbinden die Fotografien kongenial mit eindrücklichen Texten. Zu jedem Motiv schreibt Freed selbst zum Teil sehr ausführliche Bildlegenden. Im Gegensatz zu anderen Büchern geben diese nicht seine subjektiven Eindrücke wieder, sondern sind neutral und informativ formuliert.
Die Foto-Motive
Auch die Abfolge der Motive ist sicherlich bewusst gewählt. Leonard Freed zeichnet sowohl skeptische als auch hoffnungsvolle Bilder mit seiner Kamera. Umgesetzt sind fünf Fotoblöcke, die jeweils durch Texte miteinander verbunden sind. Den Anfang macht ein Rundblick, der unterschiedliche Themen in einzelnen Fotografien vorstellt. Das allererste Motiv zeigt Marmorbüsten an einer Mauer des alten jüdischen Friedhofs in Frankfurt am Main, wen sie darstellen, ist nicht bekannt. Auf dem zweiten Motiv ist der jüdische Friedhof in Worms zu sehen, einer der ältesten Europas. Beide Motive verdeutlichen die lange Tradition des Judentums in Deutschland und den großen Bruch durch den Holocaust.
Im Buch finden sich drei Motive mit direktem visuellen Bezug zu Nazi-Verbrechen. Alle drei befinden sich im ersten Fotokapitel: Das erste zeigt den Unterarm einer Frau mit einer eintätowierten Nummer des Konzentrationslagers Auschwitz, das zweite ein Gebetbuch mit eingelegten Fotografien ermordeter Familienangehöriger, das dritte Holzgitter über den Blutgräben im ehemaligen KZ Dachau.
Der zweite Fotoblock widmet sich religiösen Aspekten der jüdischen Gemeinschaft, darunter mehrere Aufnahmen aus der polnischen Gebetsstube in Frankfurt, aber auch Bilder einer jüdischen Hochzeit oder einer Bar Mizwa. Als nächstes folgen Motive zu unterschiedlichen Berufen, ein Steinmetz, ein Textilfabrikant, zwei Aufnahmen einer koscheren Schlächterei. Das vorletzte Fotokapitel zeigt bekannte Persönlichkeiten. Zum Schluss richtet Freed seinen Fokus auf junge Menschen, Kinder und Jugendliche. Dieser Abschluss des Buches mit größtenteils offenen und freundlichen Bildern unterstreicht den optimistischen Blick des Fotografen. Seine Bilder zeugen von Empathie, Sensibilität und Ernsthaftigkeit, aber kennen auch humorvolle Details.
Ein US-amerikanischer Blick auf Deutschland
Neben jüdischen Aspekten fotografiert Leonard Freed seit den frühen 1950er Jahren auch immer wieder andere Motive in Deutschland und führt diese 1970 in dem Buch Made in Germany zusammen. Freed ist fasziniert von den Deutschen und Deutschland und fragt in der Einleitung, wie das Land in 25 Jahren aussehen werde. Bemerkenswert sind einzelne kleine Texte am Ende des umfangreichen Bildteils, die mit Trauma I bis IV überschrieben sind und persönliche Geschichten und Erfahrungen zu Vorurteilen und Antisemitismus aus Freeds Perspektive wiedergeben.
Später schreibt Freed „Dass ich in den USA geboren bin, gibt mir, so glaube ich, eine eigene, frische Perspektive, durch die mir Dinge auffallen, die der Durchschnittsdeutsche übersieht.“
(Fax von Leonard Freed an Ute Eskildsen, 1990; Leonard Freed Archiv). Dies gilt sicherlich auch für seine Fotografien der Serie Deutsche Juden heute aus den 1960er Jahren.
Theresia Ziehe, Kuratorin für Fotografie und Kuratorin der Ausstellung
Ich lebe (nicht) in der Bundesrepublik

„Der Bruch ist unheilbar geblieben. Es gibt keine Rückkehr, weil es kein Vergessen und keine Tröstung geben darf.“
Manès Sperber (aus: Kesten, S. 156)

„Der Bruch ist unheilbar geblieben. Es gibt keine Rückkehr, weil es kein Vergessen und keine Tröstung geben darf.“
Manès Sperber (aus: Kesten, S. 156)
Im Jahr 1964 erscheint im Münchner Paul-List-Verlag ein Taschenbuch mit dem Titel ich lebe nicht in der Bundesrepublik. Als Herausgeber fungiert der Schriftsteller Hermann Kesten – er war 1933 vor den Nazis nach Frankreich und von dort in die USA geflüchtet. Seit 1949 amerikanischer Staatsbürger, kehrte er wiederholt zu Besuch, aber nicht endgültig nach Deutschland zurück. 34 Autoren kommen in dem Band zu Wort, die Mehrheit von ihnen jüdische Emigranten. Wie Kesten in seiner Einleitung zum Buch erwähnt, wurde es angeregt durch ein zuvor ebenfalls im List-Verlag erschienenes Taschenbuch, das der Journalist Wolfgang Weyrauch 1961 unter dem Titel ich lebe in der Bundesrepublik herausgebracht hatte. Sein Anliegen: eine kritische Selbstverständigung von 15 bekannten deutschen Autor*innen über Deutschland.
Die Fotografien von Leonard Freed entstehen fast alle in den Jahren 1961 bis 1962, sein Fotoband Deutsche Juden heute wird 1965 im Münchner Verlag Rütten & Loening publiziert. Eingewoben in die thematisch gruppierten Bildaufnahmen sind Essays bekannter jüdischer Intellektueller. In ihren Texten nehmen sie die Verfasstheit der jüdischen Gemeinden in der BRD und das Verhältnis von Jüdinnen*Juden und Deutschen in den Blick. Drei der Autoren – Hermann Kesten, Ludwig Marcuse und Robert Neumann – sind auch im Taschenbuch ich lebe nicht in der Bundesrepublik vertreten. Kesten beschreibt in beiden Beiträgen sehr eindrücklich seine ambivalente Haltung Deutschland gegenüber, die es ihm trotz großer emotionaler Verbundenheit unmöglich macht, sich dort längere Zeit aufzuhalten oder gar dauerhaft dorthin zurückzukehren.

„In diesen Jahren fragten mich viele: ‚Fühlen Sie sich mehr als Deutscher oder als Jude?‘ Ich weiß nicht, was mit dem Fühlen-Sie-sich? gemeint ist. Aber ich weiß genau, daß ich vor allem Jude, Jude, Jude bin – solange Juden verfolgt werden.“
Ludwig Marcuse (aus: Freed, S. 68)

„In diesen Jahren fragten mich viele: ‚Fühlen Sie sich mehr als Deutscher oder als Jude?‘ Ich weiß nicht, was mit dem Fühlen-Sie-sich? gemeint ist. Aber ich weiß genau, daß ich vor allem Jude, Jude, Jude bin – solange Juden verfolgt werden.“
Ludwig Marcuse (aus: Freed, S. 68)
Was ist das für ein Land, in dem Leonard Freed fotografiert?
Die erwähnten Publikationen eröffnen eine Vielfalt von Perspektiven auf die politische und gesellschaftliche Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland – weniger als 20 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur. Das Land hat ein doppelbödiges Gesicht: „Das intellektuelle und moralische Klima der Bundesrepublik Deutschland ist zwiespältig und kurios genug. Der Kontrast zwischen den anständigen fühlenden Menschen und den fühllosen, bewußten oder unbewußten Zynikern scheint schärfer als je“
, so Kesten in seiner Einleitung „Das ewige Exil“ (Kesten, S. 20). Wiederkehrende Themen sind der Anti-Kommunismus, die unheimliche Betriebsamkeit der Deutschen und – damit einhergehend – das Vergessenwollen der jüngsten Vergangenheit, das westdeutsche Wirtschaftswunderland mit beginnendem Wohlstand und dem Wiederaufbau der zerstörten Städte – „Das ganze Land sieht aus wie renoviert“
, so Kesten (Freed, S. 79).
Die BRD ist eine freiheitliche Demokratie mit Pressefreiheit und Gewaltenteilung – neben überzeugten Demokrat*innen sitzen aber auch wieder alte Nazis auf guten Posten. „Die Mörder laufen frei herum“
(Robert Neumann, Kesten S. 127). Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen hat gerade erst begonnen, und antisemitische Einstellungen dauern fort, wenn sie auch offiziell geächtet sind und juristisch belangt werden können. Gleichzeitig ist ein mit Schuldgefühlen gepaarter Philosemitismus an der Tagesordnung, und die jüdischen Gemeinden dieses Landes leben „in dieser Atmosphäre, seltsam gemischt aus schlechtem Gewissen und gutem Willen“
, wie der Herausgeber von Deutsche Juden heute, der Journalist Hans Hermann Köper konstatiert (Kesten, S. 8).
Heimstätte auf verfluchter Erde?
Alle diese Themen werden auch in einer Ausgabe des Nachrichten-Magazins Der Spiegel vom 31. Juli 1963 über Jüdinnen*Juden in Deutschland verhandelt. Die wöchentlich erscheinende Zeitschrift erreicht Hunderttausende von Leser*innen. „Heimstätte auf verfluchter Erde?“
– so lautet die Überschrift des Titelreports. Die Ausgabe enthält zudem ein Interview mit Hendrik G. van Dam, dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie einen unter Pseudonym publizierten Artikel des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein mit der Titelfrage „Antisemitismus unter uns?“
.

„Ich bin der Meinung, daß die Bundesrepublik politisch so gestaltet werden soll, daß hier Juden als Juden leben können.“
Hendrik van Dam (aus: Der Spiegel, 31. Juli 1963)

„Ich bin der Meinung, daß die Bundesrepublik politisch so gestaltet werden soll, daß hier Juden als Juden leben können.“
Hendrik van Dam (aus: Der Spiegel, 31. Juli 1963)
Die Fragen, um die es in den genannten drei Publikationen geht, sind zeitlos und anhaltend aktuell: Wo kann und möchte ich als Jüdin oder Jude leben und wo nicht? Und warum?
Leonore Maier, Sammlungskuratorin und Kuratorin der Ausstellung
Symbol des ewigen „Dennoch“ – Die neue Synagoge in Düsseldorf
Elf der 52 Fotos aus der Serie Deutsche Juden heute entstanden in Düsseldorf. Die jüdische Gemeinde der Stadt hatte Anfang der 1960er Jahre, als Leonard Freed dort fotografierte, etwa 1.000 Mitglieder und war Standort wichtiger jüdischer Organisationen der Nachkriegszeit, wie der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland unter ihrem Chefredakteur Karl Marx sowie des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Freed nahm vor allem einzelne Personen und Mitglieder der jüdischen Gemeinde mit seiner Kamera in den Blick. Aber auch der Ort, an dem die Düsseldorfer Gemeindemitglieder zu Feierlichkeiten, geselligen Zusammenkünften und Veranstaltungen oder zum Gottesdienst zusammenkamen, interessierte ihn: die neu erbaute, 1958 eingeweihte Synagoge mit dazugehörigem Gemeindezentrum. Und so entstand an einem sonnigen Sommertag diese Außenaufnahme im Stadtteil Golzheim.

Leonard Freed, Neue Synagoge und neues Gemeindezentrum, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/3.
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Leonard Freed, Neue Synagoge und neues Gemeindezentrum, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/3.
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Zu sehen ist die Synagoge an der Straßenkreuzung Zieten-/Mauerstraße – das dahinterliegende Gemeindezentrum ist im Bild nicht sichtbar. Die Bildsprache macht das Gebäude als jüdisches Gotteshaus erkennbar: Über der geschlossenen Tür die Menora, der siebenarmige Leuchter, ein zentrales Symbol des Judentums. Darunter ein hebräischer Schriftzug aus Psalm 26,8 „Ewiger, ich liebe die Stätte deines Hauses, den Ort, wo deine Ehre thront“
. Rechts davon ein vertikales, mit den Emblemen und hebräischen Bezeichnungen der zwölf Stämme Israels gestaltetes Glasfenster.
Im Vordergrund sind spielende Kinder im Grundschulalter sowie ein lässig vorbeischlendernder Jugendlicher zu sehen. Auf den erhaltenen Kontaktbögen des publizierten Fotos finden sich parkende VW-Käfer und Autos in der Zieten-Straße, Statussymbole des im Gange befindlichen „Wirtschaftswunders“ in der Bundesrepublik. Die Beschaulichkeit der ruhigen Wohngegend, die das Bild ausstrahlt, ist trügerisch: Einer der beiden Jungen, die bäuchlings zugewandt auf dem Bürgersteig liegen, hält eine Spielzeugpistole in der Hand. Und wir wissen: bereits kurz nach ihrer Einweihung im Jahr 1959 wurde die Synagoge Ziel von Hakenkreuzschmierereien.1
Nachlass von Hermann Zvi Gutmann
Das Jüdische Museum Berlin erhielt 2017 den Nachlass des Architekten der Düsseldorfer Synagoge, Hermann Zvi Guttmann, als Schenkung seiner Familie. Teile dieses Nachlasses können die Besucher*innen der Dauerausstellung des JMB in der interaktiven Anwendung Familienalbum digital erkunden.
Das Konvolut enthält umfangreiches Material sowohl zur Planung und Entstehung der Synagoge und des damit verbundenen Gemeindezentrums als auch zu ihrer Einweihung und der Berichterstattung darüber. Ein großer Schatz, den wir mit der Fotografie von Leonard Freed in Verbindung setzen können, die weniger als drei Jahre nach der Einweihungsfeier im Sommer 1961 entstanden ist.

Hermann Zvi Guttmann, Außenansicht der Synagoge Düsseldorf, Frankfurt a.M. ca. 1954–1958, Diazotypie, Gouache, Aquarell; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/311/406, Schenkung von Dr. Gitta Guttmann und Dr. Rosa Guttmann.
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Hermann Zvi Guttmann, Außenansicht der Synagoge Düsseldorf, Frankfurt a.M. ca. 1954–1958, Diazotypie, Gouache, Aquarell; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/311/406, Schenkung von Dr. Gitta Guttmann und Dr. Rosa Guttmann.
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Hermann Zvi Guttmann, Perspektive des Innenraums der Synagoge Düsseldorf, Frankfurt a.M. ca. 1953–1962, Aquarell auf belichtetem Diazotypiepapier; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/311/404, Schenkung von Dr. Gitta Guttmann und Dr. Rosa Guttmann.
Die Synagoge hat etwa 400 Plätze, 250 davon im Erdgeschoss für die Männer, 150 auf den umlaufenden Frauenemporen. Weitere Informationen zu diesem Objekt finden Sie in unseren Online-Sammlungen

Hermann Zvi Guttmann, Perspektive des Innenraums der Synagoge Düsseldorf, Frankfurt a.M. ca. 1953–1962, Aquarell auf belichtetem Diazotypiepapier; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/311/404, Schenkung von Dr. Gitta Guttmann und Dr. Rosa Guttmann.
Die Synagoge hat etwa 400 Plätze, 250 davon im Erdgeschoss für die Männer, 150 auf den umlaufenden Frauenemporen. Weitere Informationen zu diesem Objekt finden Sie in unseren Online-Sammlungen

Leonard Freed, Vor dem Gottesdienst in der Synagoge, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/17.
Auf dieser Aufnahme ist eine der Frauenemporen im Anschnitt zu sehen. Weitere Informationen zu diesem Foto finden Sie in unseren Online-Sammlungen

Leonard Freed, Vor dem Gottesdienst in der Synagoge, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/17.
Auf dieser Aufnahme ist eine der Frauenemporen im Anschnitt zu sehen. Weitere Informationen zu diesem Foto finden Sie in unseren Online-Sammlungen
Die Einweihung der Synagoge am 7. September 1958 ist im Nachlass von Guttmann hervorragend dokumentiert: Zum einen durch die Einladungskarte der Synagogengemeinde für das Ehepaar Guttmann mit Abbildung des gesamten Gebäudeensembles und die Broschüre Die neue Synagoge in Düsseldorf – mit Beiträgen von Politikern, darunter Bundeskanzler Adenauer, und jüdischer Repräsentanten, die die Bedeutung des Baus knapp zwanzig Jahre nach der „Kristallnacht“ und der Zerstörung der alten Synagoge thematisieren.

Vorderseite (links) und Innenseite (rechts) der Einladungskarte zur Einweihung der Synagoge für den Architekten Hermann Guttmann und seine Frau am 7. September 1958; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/309/196, Schenkung von Dr. Gitta Guttmann und Dr. Rosa Guttmann.
Der Text der Einladungskarte lautet: „Die Synagogengemeinde Düsseldorf erlaubt sich ergebenst Herrn und Frau Dipl-Ing. Hermann Guttmann zur feierlichen Einweihung der neuen Synagoge, Zietenstraße Ecke Mauerstraße, in Düsseldorf am Sonntag, dem 7. September 1958 – 11:00 Uhr vormittags – herzlichst einzuladen.“

Vorderseite (links) und Innenseite (rechts) der Einladungskarte zur Einweihung der Synagoge für den Architekten Hermann Guttmann und seine Frau am 7. September 1958; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2017/309/196, Schenkung von Dr. Gitta Guttmann und Dr. Rosa Guttmann.
Der Text der Einladungskarte lautet: „Die Synagogengemeinde Düsseldorf erlaubt sich ergebenst Herrn und Frau Dipl-Ing. Hermann Guttmann zur feierlichen Einweihung der neuen Synagoge, Zietenstraße Ecke Mauerstraße, in Düsseldorf am Sonntag, dem 7. September 1958 – 11:00 Uhr vormittags – herzlichst einzuladen.“
Zum anderen enthält das Konvolut eine Sammlung von säuberlich ausgeschnittenen und aufgeklebten Zeitungsartikeln, die anlässlich der Einweihungsfeier in der jüdischen und nichtjüdischen Presse erschienen waren.
Betont Bundeskanzler Adenauer in seiner Glückwunschadresse mit Blick auf das Wiedererstehen jüdischer Gotteshäuser „die Erfolge der Wiedergutmachungspolitik“
der Bundesregierung, so erinnert Hendrik van Dam, der Repräsentant des Zentralrats der Juden in Deutschland an Rabbiner Leo Baeck und das durch ihn geprägte Wort vom ewigen „Dennoch“ als Leitmotiv jüdischer Geschichte. War es doch zunächst nach der Schoa unvorstellbar, dass wieder Synagogen gebaut und Gemeinden dauerhaft bestehen würden. Und Karl Marx, Chefredakteur der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland schreibt in seinem Artikel „Zeugnis des Bestehens. Was bedeutet die Einweihung einer Synagoge?“ vom 5. September 1958:
„Heute gibt es über die Zukunft des Judentums in Deutschland keine Zweifel mehr. Wohl ebensowenig wie über die Vergangenheit. In dem Wissen, daß wir nicht fortfahren können, wo die Fäden abrupt abgerissen sind, haben wir uns durchgerungen, die Gegenwart mit der Erinnerung an die Vergangenheit zu formen. …. Wichtig ist allein die Tatsache, daß es eine Zukunft für die Juden in Deutschland gibt.“
Wie unterschiedlich die Perspektiven auch sein mögen: Alle Beiträge legen Zeugnis von der hohen symbolischen Bedeutung ab, die der neuen Düsseldorfer Synagoge und dem Gemeindezentrum für den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden in Deutschland nach der Schoa beigemessen wird.
Leonore Maier, Sammlungskuratorin und Kuratorin der Ausstellung
Am 7. September 2023 veröffentlichte die Jüdische Gemeinde Düsseldorf anlässlich des 65. Jahrestages der Einweihung der Düsseldorfer Synagoge diesen Filmbeitrag von Zeev Reichard, in dem die Synagoge ausführlich vorgestellt und gezeigt wird.
- Landeshauptstadt Düsseldorf, Der Oberbürgermeister, Stadtmuseum (Hg.): Von Augenblick zu Augenblick. Juden in Düsseldorf nach 1945, Kapitel Antisemitismus. ↩︎
Ruth und Herbert Rubinstein: Zwei Leben in Düsseldorf

Leonard Freed, Junges Paar, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/39.
Weitere Informationen zu diesem Foto finden Sie in unseren Online-Sammlungen

Leonard Freed, Junges Paar, Düsseldorf, 1961; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/39.
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Ein junges Paar, beide Gesichter eng nebeneinander, in inniger Pose – so fotografiert Leonard Freed 1961 zwei junge Menschen in Düsseldorf. 2015 wird der Abzug, zusammen mit anderen Motiven aus der Serie Deutsche Juden heute als Leihgabe des Jüdischen Museums Berlin in der Ausstellung Von Augenblick zu Augenblick – Juden in Düsseldorf nach 1945 im Stadtmuseum Düsseldorf gezeigt.
Im Zuge der Absprachen zur Ausstellung erhält das bis dahin unbekannte Paar konkrete Namen: Ruth und Herbert Rubinstein. Beide leben bis heute in Düsseldorf und sind dem Jüdischen Museum Berlin nun schon einige Jahre eng verbunden.
Ruth Rubinstein
Ruth Rubinstein wird 1942 in Tel Aviv geboren und wächst später in Herzlia auf. Ihre Mutter stammt aus Bad Nauheim bei Frankfurt, ihr Vater aus Köln; beide lernen sich in Palästina kennen und gründen eine Familie. Sie betreiben einen kleinen Lebensmittelladen, das Leben ist hart und der Vater muss nach mehreren Herzinfarkten einsehen, dass er das gesundheitlich nicht durchhält.
Im Herbst 1956 zieht die Familie also notgedrungen nach Köln, in die Geburtsstadt des Vaters. Ruth ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Sie möchte Israel nicht verlassen und kann nicht verstehen, dass ihre Eltern ausgerechnet nach Deutschland auswandern. Sie und ihre vier Jahre jüngere Schwester dürfen nichts vom Umzug nach Deutschland erzählen, sie verlassen das Land ohne Abschied, darunter leidet Ruth ganz besonders.
In Köln wohnt die Familie gegenüber der Synagoge in der Roonstraße, die 1959 wieder eingeweiht wird. Ruth kann aus dem Elternhaus direkt auf die Synagoge schauen. Dort verbringt sie ihre Freizeit, singt im Chor und ist im Jugendzentrum aktiv. Ihr Engagement für die jüdische Gemeinschaft begleitet sie ihr ganzes Leben. Ihre Eltern betreiben drei Herrenausstatter-Geschäfte in Köln. Dort hilft sie hin und wieder mit, wird selbst aber Kindergärtnerin.
Herbert Rubinstein
Herbert Rubinstein wird 1936 in Czernowitz, in der heutigen Ukraine (damals Rumänien), geboren. Er und seine Mutter überleben die Schoa, sein Vater wird 1945 von den Nazis erschossen.
Seine Mutter lernt nach dem Krieg den Auschwitz-Überlebenden Max Rubin kennen, der ursprünglich aus Düsseldorf kommt. Zusammen mit Herbert ziehen sie nach Amsterdam und heiraten dort. 1956 geht Herbert mit seiner Mutter und seinem zweiten Vater nach Düsseldorf. Die Eltern fangen klein an, Max Rubin produziert Damengürtel.
Auch für Herbert wird die jüdische Gemeinschaft sehr wichtig, in der Jugendarbeit der jüdischen Gemeinde ist er sehr aktiv.
Gemeinsames Leben
Ruth und Herbert Rubinstein lernen sich auf einem Chanukkaball in Düsseldorf kennen. Herbert geht mit seinem besten Freund Paul Spiegel auf den Ball, Ruth kommt aus Köln. Sie tanzen miteinander – ein Moment, der beide Leben bestimmen wird.
1964 heiraten sie im Standesamt in Düsseldorf und kurz darauf in der Synagoge in der Roonstraße in Köln. Bald darauf ziehen sie nach Düsseldorf. Dort kommt 1965 ihre Tochter zur Welt und 1972 Zwillinge, zwei Jungen.
Auch zusammen bietet ihnen das jüdische Umfeld viel Halt, beide sind bis heute durch vielfältige Aufgaben mit der jüdischen Gemeinde Düsseldorf verbunden: Ruth Rubinstein ist Ehrenvorsitzende der Gemeinde und war mehr als 20 Jahre im Vorstand. Auch Herbert Rubinstein war Teil des Gemeinderats und ist bis heute als Zeitzeuge und Holocaust-Überlebender aktiv, vor allem im Gespräch mit Schüler*innen.

Das Ehepaar Rubinstein, Düsseldorf, 2018; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2018/314/0, Foto: Stephan Pramme

Das Ehepaar Rubinstein, Düsseldorf, 2018; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2018/314/0, Foto: Stephan Pramme
Die Rubinsteins und das JMB
Für die Ausstellung A wie Jüdisch. In 22 Buchstaben durch die Gegenwart 2018 im Jüdischen Museum Berlin wird das Paar 57 Jahre nach der Aufnahme von Leonard Freed erneut fotografiert. Stephan Pramme porträtiert die beiden am gleichen Standort, der Rheinuferpromenade in Düsseldorf, in fast identischer Pose.
Für die aktuelle Ausstellung Deutsche Juden heute. Leonard Freed teilen Ruth und Herbert Rubinstein wichtige Informationen über die abgebildeten Situationen und Personen der Fotoserie mit dem Museum. Dadurch können die 52 Motive anders kontextualisiert und Biografien und Erfahrungen von Abgebildeten zusammengetragen werden.

Ruth und Herbert Rubinstein betrachten gemeinsam den Fotoband Deutsche Juden heute von Leonard Freed; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. Presse/3136/2, Foto: Theresia Ziehe

Ruth und Herbert Rubinstein betrachten gemeinsam den Fotoband Deutsche Juden heute von Leonard Freed; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. Presse/3136/2, Foto: Theresia Ziehe
Ende 2024 besuchen sie die Ausstellung mit ihrer Familie, die heute aus drei Kindern, vier Enkelkindern und zwei Urenkelkindern besteht. Nicht alle sind dabei, aber vier Generationen sind vertreten.
Wie schon 2018 ist auch die erneute Begegnung mit den beiden sehr beeindruckend. Vor kurzem feierten sie ihre Diamantene Hochzeit und beide bezeichnen den jeweils anderen als größtes Glück – und dies kann man spüren. Herbert Rubinstein nennt seine Frau „die beste Frau der Welt“
und Ruth Rubinstein erzählt von ihrem Vater, der auf die kritische Nachfrage der Tochter, warum die Eltern Israel verlassen hätten, einmal erwiderte: „Wenn wir nicht ausgewandert wären, hättest du niemals diesen Goldschatz kennengelernt.“

Ruth und Herbert Rubinstein in der Ausstellung Deutsche Juden heute. Leonard Freed; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. Presse/3136/1, Foto: Theresia Ziehe

Ruth und Herbert Rubinstein in der Ausstellung Deutsche Juden heute. Leonard Freed; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. Presse/3136/1, Foto: Theresia Ziehe
Theresia Ziehe, Kuratorin für Fotografie und Kuratorin der Ausstellung

Alle Angebote zur Ausstellung Deutsche Juden heute. Leonard Freed
- Über die Ausstellung
- Aktuelle Seite: Deutsche Juden heute. Leonard Freed – 11. Nov 2024 bis 27. Apr 2025, mit allen Fotos aus der Ausstellung und Essays der Kuratorinnen
- Begleitprogramm
- Kuratorinnenführung mit Leonore Maier oder Theresia Ziehe – Do, 23. Jan & 13. Feb & 13. & 27. Mär & 10. Apr 2025, jeweils um 16 Uhr
- „Deutsche Juden heute” – eine Diskussion aus den 1960er Jahren – Podiumsgespräch am 18. Mär 2025
Informationen zur Ausstellung im Überblick
- Wann 11. Nov 2024 bis 27. Apr 2025
- Eintritt frei. Online-Tickets für ein bestimmtes Zeitfenster erwerben Sie vor Ihrem Besuch im Ticket-Shop oder direkt an der Kasse.
- Wo Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
Zum Lageplan

Ausstellungsimpressum
Kuratorinnen
Leonore Maier
Theresia Ziehe
Projektmanagement
Daniel Ihde
Ausstellungsgrafik
Team Mao, Berlin (Siyu Mao und Björn Giesecke)
Webseite
Dagmar Ganßloser
Marketing & Kommunikation
Sandra Hollmann
Kampagnengrafik
bürominimal / Hanno Dannenfeld und Kristina Friske
Grafikproduktion
Fotoreklame Gesellschaft für Werbung FRG mbH
Exponateinrichtung und Ausstellungswartung
Leitwerk Servicing
Übersetzungen
Jake Schneider
SprachUnion