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Grabsteine auf einem Friedhof, darüber das Porträt eines Mannes.

Alfred Reis
(1893–1917)

„Heute ist es so warm, dass ich ohne Mantel gehen konnte und will jetzt nun ein Tagebuch anfangen, weil ich so gerne schreibe.“

So begann der achtjährige Alfred Reis am Ostermontag 1901 seine Aufzeichnungen in einem blauen Oktavheft, das ihn drei Jahre seines Lebens begleiten sollte. In loser Folge notierte er Urlaubseindrücke, Gedanken zu Familienereignissen oder Erlebnisse mit seiner kleinen Schwester Gertrud.

1903 war das Büchlein voll und Alfred Reis gab das Tagebuchschreiben auf. Im Nachlass ist es heute das einzige Dokument, das uns einen Einblick in sein Leben gewährt. Dennoch lassen sich anhand der wenigen Schriftstücke und Fotografien aus seiner Studien- und Militärzeit die Stationen seines kurzen Lebens nacherzählen.

Braunschweig

Alfred Reis wuchs in Braunschweig auf. Sein Vater Eduard Reis war Bankier und Lotterieeinnehmer und führte zusammen mit seiner Frau Hedwig und den beiden Kindern ein gut situiertes Leben.

Nach dem Abitur 1911 am Wilhelm-Gymnasium verließ Alfred Reis sein Zuhause. Er hatte sich für ein Studium der Zahnmedizin in Würzburg entschieden, wo ein mit modernster Technik ausgestattetes Institut kurz vor der Fertigstellung stand.

Würzburg

Falls dem jungen Studenten die neue Umgebung Unbehagen verursacht haben sollte, war dies nach dem Beitritt zur Akademisch-Wissenschaftlichen Verbindung VEDA (wörtlich: Wissen) sicher schnell verflogen.

Unter den vielen Würzburger Korporationen nahm sie insofern eine besondere Stellung ein, dass sie Mitglieder unabhängig von ihrer Religion aufnahm, also paritätisch war. Darüber hinaus entfaltete die VEDA ein reiches Verbindungsleben – ihre Bälle zum Purim-Fest waren legendär. Die Verbindung war schlagend, dreimal pro Woche war das Fechten eine obligatorische Übung. Mensuren (Fechtkämpfe) wurden regelmäßig mit befreundeten Bünden ausgetragen.

Einen guten Freund und Mentor fand Alfred Reis in seinem Bundesbruder Rudolf Rülf, der ebenfalls Zahnmedizin studierte und Sohn des Braunschweiger Landesrabbiners war.

Schwarz-weiß-Foto: Student in vollem Wichs, mit Korpsschläger, im Hintergrund Fahne der Studentenverbindung

Alfred Reis als Chargierter der Akademisch-Wissenschaftlichen Verbindung VEDA, Würzburg, ca. 1912; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Alfred Rülf, Foto: Jens Ziehe

Hildesheim

Die Kriegsbegeisterung von 1914 erfasste auch die Mitglieder der VEDA.

Alfred Reis meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst und wurde im November zur Rekrutenausbildung beim Infanterie-Regiment Nr. 79 in Hildesheim eingezogen. Zwei Postkarten an Rudolf Rülf, der zu der Zeit in einem Reserve-Lazarett diente, sind erhalten geblieben.

Von Kisielin nach Langemarck

Zum Fronteinsatz kam Alfred Reis schließlich mit dem Füsilier-Regiment Generalfeldmarschall Prinz Albrecht von Preußen Nr. 73, zunächst an die Ostfront. Nach seiner Genesung von einer leichten Verwundung, die er im ukrainischen Kisielin am 16. Juli 1916 erlitten hatte, wurde er mit seiner Einheit an die Westfront nach Flandern bei Langemarck verlegt.

Sonntag, 29. Juli 1917

Für den 29. Juli 1917 meldete das Große Hauptquartier:

„Die Artillerieschlacht in Flandern tobte gestern vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein ununterbrochen. Die artilleristische Kraftentfaltung stellt das Höchstmaß an Massenwirkung in diesem Kriege dar.“

Es war der Tag, an dem Alfred Reis verschwand.

Das ungeheuerliche Ausmaß der Schlacht hielt der Schriftsteller Ernst Jünger, Offizier desselben Infanterie-Regiments, in seinen Kriegstagebüchern fest. Seine Worte lassen ahnen, was „das Höchstmaß an Massenwirkung“ bedeutete:

„Stunden wie die eben erlebte waren ohne Zweifel die schrecklichsten des ganzen Krieges. (…) Du weißt, wenn es dich trifft, wird kein Hahn danach krähen.“

Brief, handschriftlich, Stempel

Brief vom Füsilier-Regiment an Eduard Reis mit der Vermisstenmeldung seines Sohnes Alfred, Flandern, 31. Juli 1917; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Alfred Rülf, Foto: Jens Ziehe

Eduard Reis erhielt wenige Tage später einen Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass sein Sohn vermisst werde. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, „dass er in Gefangenschaft geraten ist“.

Ungewissheit

Monatelang schwebte die Familie zwischen Hoffen und Bangen.

Erst im März des folgenden Jahres brachten die Nachforschungen einer Braunschweiger Kriegsvermisstenstelle die traurige Gewissheit: Alfred Reis war am 29. Juli 1917 tödlich verwundet worden. Sein Leichnam konnte in der monatelang tobenden dritten Flandernschlacht nicht geborgen werden und blieb verschollen.

Später wurde am Ehrengrab der gefallenen Braunschweiger Juden des Ersten Weltkrieges sein Name angebracht.

Rudolf Rülf heiratete nach dem Krieg Alfreds Schwester Gertrud. Ihren 1923 geborenen Sohn benannten sie nach dem fünf Jahre zuvor gefallenen Bruder und Schwager.

Brief, maschinenschriftlich, Stempel

Brief des Braunschweiger Arbeitsausschusses Nachforschung nach Kriegsvermissten an Eduard Reis, Braunschweig, 25. März 1918; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Alfred Rülf, Foto: Jens Ziehe

Farbfoto: Steintafel mit Davidstern, Namen und Lebensdaten

Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Braunschweiger Juden auf dem Jüdischen Friedhof mit Erwähnung von Alfred Reis, Braunschweig, 2011; CC BY-SA 3.0

Weitere Fotografien und Dokumente zu Alfred Reis finden Sie in unseren Online-Sammlungen.

Ulrike Neuwirth, Archiv

Zitierempfehlung:

Ulrike Neuwirth (2016), Alfred Reis
(1893–1917).
URL: www.jmberlin.de/node/4588

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