Gefährliche Symbole
Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM
Charlotta Kotik
Ikonische Zeichen aus unterschiedlichen Kulturen ins eigene Werk zu integrieren, erfordert viel Fantasie, scharfsinnige Bildung und erheblichen Mut. All das wird dem amerikanischen Künstler Michael David zu Recht attestiert. Seine Arbeit mit solchen ikonischen Symbolen begann er Ende der 1970er, und er hat damit oft große Kontroversen ausgelöst.
So wie das Kreuz unzählige gefeierte Werke der westlichen Kunst ziert, erscheint auch die Swastika, also das Hakenkreuz, als Symbol und Dekorationselement in der Kunst vieler Kulturen, Jahrhunderte und Kontinente umspannend. Für seine Serie Symbols wählte David beide Zeichen aus. Die Swastika, die im Hinduismus, Buddhismus und Jainismus für Güte und günstiges Geschick steht, ist für immer stigmatisiert, seit die Nationalsozialisten es zu ihrem Wahrzeichen machten. Seine ursprüngliche Bedeutung als Glückssymbol wurde von den Mächten der Finsternis gekapert, die es in ein Symbol der Vernichtung umwandelten. Somit könnte man Davids Entscheidung, die Swastika in einer Reihe von Werken, die von 1977 bis heute reicht, mit der Legende des Golem zu verbinden, als krasse Beleidigung empfinden.
Doch sollte unser Blick wirklich so vereinfachend sein? Der Golem, so heißt es, wurde geschaffen, um seinem Herrn dabei zu helfen, Prags jüdische Gemeinde zu schützen. Der Legende nach versetzte irgendwann ein falscher Befehl das mächtige Wesen in Raserei, und damit begann ein Rausch der Zerstörung, der am Ende zum Untergang des Golem selbst führte. Ähnlich ging es mit dem Hakenkreuz: Geschaffen als Zeichen der Stärke, wurde seine ursprüngliche Bedeutung für westliche Augen für immer verdorben durch den grausamen Missbrauch, den die Nationalsozialisten mit ihm trieben.
Davids Art, die perverse Macht und die Bedeutungsvielfalt dieses Symbols auszuloten, lässt sich zudem auf die Verflechtung des Künstlers in die New Yorker Punkszene zurückführen. Die Punks fetischisierten die Swastika: Sie verzierten ihre Flyer damit, einige Musiker trugen sie auch selbst als Schmuck, obwohl viele von ihnen Juden waren. Für David war eine solche jüdische Aneignung des Hakenkreuzes verwandt mit der Strategie afroamerikanischer Künstler, in ihrer Musik und Lyrik das N-Wort zu verwenden. Punk als Kunstform – gewalttätig, instinktgesteuert, selbstzerstörerisch, monströs – spiegelte die Erzählung vom Golem.
Davids Bilder aus der Symbols-Serie haben eine ausgeprägt skulpturale Qualität. Die Oberflächen legen greifbar Zeugnis ab von ihrer Entstehung, von der Hand des Künstlers. Sein Golem besitzt eine Objekthaftigkeit, die der Materialität des fiktiven Lehm-Lebewesens entspricht. Die Erzählung vom Prager Golem benennt als Materialien, die zur Schaffung des Golem verwendet wurden, Wachs, Erde, Lehm und Feuer. Davids enkaustische Malweise definiert sich seit Jahrzehnten durch den Gebrauch von Wachs und Feuer. Der endgültige Zerfall des Golem zu einem Haufen aus seinen Ursprungssubstanzen – „Staub zu Staub, alles ist Staub“– verweist auf die Risiken des Schöpferischen und auf sein Potenzial für Extremismus und Selbstzerstörung.
Charlotta Kotik wurde in Prag geboren, lebt und arbeitet seit 1970 als Kuratorin in den USA. Bis 2007 war sie Chefkuratorin für Zeitgenössische Kunst im Brooklyn Museum in New York. Während dieser Zeit initiierte sie umfangreiche Ausstellungsprogramme von Künstler*innen wie Louise Bourgeois und große Gruppenausstellungen wie Open House: Working in Brooklyn. Heute arbeitet sie als freiberufliche Kuratorin mit Sitz in New York.
Zitierempfehlung:
Charlotta Kotik (2016), Gefährliche Symbole. Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM.
URL: www.jmberlin.de/node/4708
Online-Ausgabe des Katalogs GOLEM: Inhaltsverzeichnis
- Einstiegsseite
- Der Golem in Berlin – Einleitung von Peter Schäfer
- Kapitel 1
- Der Golem lebt – Einführung von Martina Lüdicke
- My Light is Your Life – von Anna Dorothea Ludewig
- Avatare – von Louisa Hall
- Das Geheimnis des Cyborg – von Caspar Battegay
- Kapitel 2
- Jüdische Mystik – Einführung von Emily D. Bilski
- Golem-Zauber – von Martina Lüdicke
- Golem, Sprache, Dada – von Emily D. Bilski
- Kapitel 3
- Verwandlung – Einführung von Emily D. Bilski
- Figur-Grund. Jana Sterbaks Golem: Objects as Sensations – von Rita Kersting
- Crisálidas (Schmetterlingspuppen) – von Jorge Gil
- Rituale – von Christopher Lyon
- Der Golem, der ein gutes Ende nahm – von Emily D. Bilski
- Über den Golem – von David Musgrave
- Louise Fishmans Farb-Golem – von Emily D. Bilski
- Kapitel 4
- Mythos Prag – Einführung von Martina Lüdicke
- Golem-Variationen – von Peter Schäfer
- Rabbi Loews wohlverdientes Bad – von Harold Gabriel Weisz Carrington
- Kapitel 5
- Horror und Magie – Einführung von Martina Lüdicke
- Golem und ein kleines Mädchen – von Helene Wecker
- Der Golem mit tanzender Kinderschar – von Karin Harrasser
- Die Belebung der Filmkulisse – von Anna-Carolin Augustin
- Der Golem und Mirjam – von Cathy S. Gelbin
- Kapitel 6
- Außer Kontrolle – Einführung von Emily D. Bilski
- Mit glühendem Hammer erweckter Mann – von Arno Pařík
- Aktuelle Seite: Gefährliche Symbole – von Charlotta Kotik
- Gib acht, was du dir wünschst – von Marc Estrin
- Kapitel 7
- Doppelgänger – Einführung von Martina Lüdicke
- Aus dem Golem-Talmud – von Joshua Cohen
- Kitajs Kunst-Golem – von Tracy Bartley
- Der Golem als Techno-Imagination – von Cosima Wagner
- Siehe auch
- GOLEM – 2016, Online-Ausgabe mit ausgewählten Texten des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
- GOLEM – 2016, Printversion des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
- Der Golem. Von Mystik bis Minecraft – Online Feature, 2016
- GOLEM – Ausstellung , 23. Sep 2016 bis 29. Jan 2017