Mit glühendem Hammer erweckter Mann
Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM
Arno Pařík
Die durchaus unbekümmerte Vorstellung vom Golem als eine Art künstlicher Mensch hat sich im Laufe der 1930er Jahre merklich verändert, der Einfluss wachsender gesellschaftlicher Spannungen, des drohenden Faschismus und Krieges war augenscheinlich. In den Werken tschechischer Surrealisten tauchen phantomhafte Formen und Gestalten bzw. Objekte voller betonter Dramatik und verborgener Spannung auf, die eine Verkörperung menschlichen Unterbewusstseins, sowie aller irrationaler Untiefen der menschlichen Seele nahelegen.
Zu den vortrefflichsten Werken des „jüngsten Surrealisten“ František Hudeček (1909‒90) zählt das Bild Golem – mit glühendem Hammer erweckter Mann (1935‒37).1 Es zeigt eine halluzinative Traumsequenz: eine einigermaßen ermattete Mannesgestalt – vermutlich im Taucheroverall und in dunklen Abgründen des Ozeans – wird von einem gespenstischen, an Ungeziefer erinnernden Monstrum mit Fangarmen bedroht. Die amorphe Ausgestaltung verweist auf Hudečeks automatische Schaffenstechnik, die sich stärkehaltiger Papierbögen und gekrümmter Spiegel bediente, mit deren Hilfe er allerlei trügerische Formen in seine Gemälde übertrug.2 Die Erweckung des Mannes durch einen glühenden Hammerschlag auf den Kopf kann als Analogie der golemschen Wiederbelebung betrachtet werden, durch Schem (hebräisch, unausgesprochener Name Gottes) oder mittels einer symbolhaften Erleuchtung, die aus dunklen Tiefen des Unterbewussten zu neuer Erkenntnis führt. In diesem Falle bezieht sie sich wohl am ehesten auf die damalige politische Situation, vornehmlich den Spanischen Bürgerkrieg.
Die Gestalt des Golem war im tschechischen Kontext sehr verbreitet, dem Künstler selbst könnte sie aus Prager Legenden, dem Befreiten Theater (1930) oder dem tschechisch-französischen Film von Julien Duvivier (1936)3 vertraut gewesen sein. Das Feuer taucht bei künstlerischen Umsetzungen des Golem wiederholt auf, denn es ist in seiner destruktiven Kraft ähnlich erschreckend und dem Menschen als unerlässliches Mittel einer alchemistischen Transmutation des Metalls und Formung der Welt bedeutsam. Hudečeks Vater besaß eine Dorfschmiede und der Künstler war von frühester Kindheit an vom Feuer fasziniert. Im überaus dramatischen Jahr 1938 schuf er ein Pastell mit dem Titel Die Schmiede meines Vaters, in dem die glühende, von Funkenströmen und der Gestalt eines Magiers umrandete Schmiedeesse zur Feuerstätte einer Verschmelzung der Welt mit dem Kosmos mutiert.4 Das unbewusste, destruktive Wirken des Riesen wiederum, der dem Golem ähnelt, erinnert an Hudečeks Gemälde Der Wanderer – das Gespenst des Bürgerkriegs (1937).5
Arno Pařík ist Kunsthistoriker und forscht zu der Geschichte des jüdischen Prag, der Renovierung jüdischer Stätten und Synagogen, jüdischer Kunst im 19. Und 20. Jahrhunder sowie Kunst aus dem Ghetto Theresienstadt. Er ist der Kurator zahlreicher Ausstellungen am Jüdischen Museum Prag und Autor zahlreicher Texte über jüdische Orte und Künstler.
- Zu Absatz 1 siehe: Jindřich Chalupecký, František Janoušek, Prag 1991, Bild 74, 90, 123; Rudolf Kober und Gerd Lindner (Hg.), Die zweite Arche – Der Surrealismus und die tschechische Kunst 1925 bis 1945, Bad Frankenhausen 2001, S. 139. Hier siehe: Lenka Bydžovská, Vojtěch Lahoda, Karel Srp, Černa sluce. Odvracena strana modernity Prag, 2012, S. 220–221.
↩︎ - Eva Petrová a kolektiv, Skupina 1942, Prag 1998, S. 30–32. ↩︎
- Arno Pařík, Maharal and the Golem in Art, in: Path of Life. Rabi Jehuda Leva ben Becalel (ca. 1525–1609) Alexandr Putík (Hg.), Jewish Museum in Prague, 2009, S. 343–373; Arno Pařík, Golem v Českém umĕní aneb promĕny figurace, in: Golem v naboženství, vĕdĕ a umĕní, Židovske muzeum v Praze, 2003, S. 87–105, Bilder Nr. 9–47. ↩︎
- Jiří Machalický und Martin Zeman, František Hudeček, Galerie Moderna, Prag, 2011, Bild Nr. 53 u. 54, S. 74. ↩︎
- ebda: Bild Nr. 43 u. 44, S. 64–65. ↩︎
Zitierempfehlung:
Arno Pařík (2016), Mit glühendem Hammer erweckter Mann. Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM.
URL: www.jmberlin.de/node/4707
Online-Ausgabe des Katalogs GOLEM: Inhaltsverzeichnis
- Einstiegsseite
- Der Golem in Berlin – Einleitung von Peter Schäfer
- Kapitel 1
- Der Golem lebt – Einführung von Martina Lüdicke
- My Light is Your Life – von Anna Dorothea Ludewig
- Avatare – von Louisa Hall
- Das Geheimnis des Cyborg – von Caspar Battegay
- Kapitel 2
- Jüdische Mystik – Einführung von Emily D. Bilski
- Golem-Zauber – von Martina Lüdicke
- Golem, Sprache, Dada – von Emily D. Bilski
- Kapitel 3
- Verwandlung – Einführung von Emily D. Bilski
- Figur-Grund. Jana Sterbaks Golem: Objects as Sensations – von Rita Kersting
- Crisálidas (Schmetterlingspuppen) – von Jorge Gil
- Rituale – von Christopher Lyon
- Der Golem, der ein gutes Ende nahm – von Emily D. Bilski
- Über den Golem – von David Musgrave
- Louise Fishmans Farb-Golem – von Emily D. Bilski
- Kapitel 4
- Mythos Prag – Einführung von Martina Lüdicke
- Golem-Variationen – von Peter Schäfer
- Rabbi Loews wohlverdientes Bad – von Harold Gabriel Weisz Carrington
- Kapitel 5
- Horror und Magie – Einführung von Martina Lüdicke
- Golem und ein kleines Mädchen – von Helene Wecker
- Der Golem mit tanzender Kinderschar – von Karin Harrasser
- Die Belebung der Filmkulisse – von Anna-Carolin Augustin
- Der Golem und Mirjam – von Cathy S. Gelbin
- Kapitel 6
- Außer Kontrolle – Einführung von Emily D. Bilski
- Aktuelle Seite: Mit glühendem Hammer erweckter Mann – von Arno Pařík
- Gefährliche Symbole – von Charlotta Kotik
- Gib acht, was du dir wünschst – von Marc Estrin
- Kapitel 7
- Doppelgänger – Einführung von Martina Lüdicke
- Aus dem Golem-Talmud – von Joshua Cohen
- Kitajs Kunst-Golem – von Tracy Bartley
- Der Golem als Techno-Imagination – von Cosima Wagner
- Siehe auch
- GOLEM – 2016, Online-Ausgabe mit ausgewählten Texten des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
- GOLEM – 2016, Printversion des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
- Der Golem. Von Mystik bis Minecraft – Online Feature, 2016
- GOLEM – Ausstellung , 23. Sep 2016 bis 29. Jan 2017