Gib acht, was du dir wünschst
Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM
Marc Estrin
Oh, Rabbi Löwe, gib acht, was du dir wünschst, und Victor Frankenstein, hüte dich. Und du, Herr Doktor Faust, zähle nicht auf eine zweite Rettung.
Geschichtenerzähler und Künstler sehen Dinge voraus, doch in der Welt nehmen sie ihren Lauf. Einstein brachte es auf den Punkt: „Drei große Mächte beherrschen die Welt: Dummheit, Furcht und Habgier.“
Fritz Ascher fing diese Mächte 1916 ein. Sein Vordergrund überträgt Einsteins Trio in die Hände und Gesichter der
– Todesangst,
– verfallenden Weisheit
– und krankhafter Raffgier.
Und über ihnen, über ihrem Gifthauch, lauert ihr gemeinsamer Golem.
„Du sollst nicht vorbeigehen!“, sagen seine Arme, „Ich werde dich töten“, sagen seine Augen, und „tiefste Nacht“, sagt sein Mantel, „kein Mond, keine Sterne für dich. Nur die Nacht.“
Hinter dieser apokalyptischen Viererbande steht ihr vorspringendes Merkmal: eine Festungsmauer – oder sollen wir es einen „Trennungszaun“ nennen? –, der vielleicht ikonisch hellsichtigste Teil von Aschers Vision. Dummheit, Furcht und Habgier haben nun andere Gesichter, weicher, weißhaarig, wortmächtig. Doch Aschers Mauer erinnert weiterhin an … die Mauer.
Benjamin Netanjahu: „Werden wir den ganzen Staat Israel mit Zäunen und Schutzmauern umgeben? Die Antwort lautet ja. In der Gegend, in der wir leben, müssen wir uns vor den wilden Tieren schützen.“
Höre, Israel: Höre diesen letzten verführten, verführenden, verirrenden „Rabbi“, der seine Gemeinde zu Tode schützt.
Wird das Judentum seinen heutigen Golem überleben?
Marc Estrin ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, Cellist und politischer Aktivist. 2006 erschien sein Roman Golem Song, in dem der Protagonist, Alan Krieger, es fertig bringt, sich selbst zum Golem zu machen.
Zitierempfehlung:
Marc Estrin (2016), Gib acht, was du dir wünschst. Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM.
URL: www.jmberlin.de/node/4709
Online-Ausgabe des Katalogs GOLEM: Inhaltsverzeichnis
- Einstiegsseite
- Der Golem in Berlin – Einleitung von Peter Schäfer
- Kapitel 1
- Der Golem lebt – Einführung von Martina Lüdicke
- My Light is Your Life – von Anna Dorothea Ludewig
- Avatare – von Louisa Hall
- Das Geheimnis des Cyborg – von Caspar Battegay
- Kapitel 2
- Jüdische Mystik – Einführung von Emily D. Bilski
- Golem-Zauber – von Martina Lüdicke
- Golem, Sprache, Dada – von Emily D. Bilski
- Kapitel 3
- Verwandlung – Einführung von Emily D. Bilski
- Figur-Grund. Jana Sterbaks Golem: Objects as Sensations – von Rita Kersting
- Crisálidas (Schmetterlingspuppen) – von Jorge Gil
- Rituale – von Christopher Lyon
- Der Golem, der ein gutes Ende nahm – von Emily D. Bilski
- Über den Golem – von David Musgrave
- Louise Fishmans Farb-Golem – von Emily D. Bilski
- Kapitel 4
- Mythos Prag – Einführung von Martina Lüdicke
- Golem-Variationen – von Peter Schäfer
- Rabbi Loews wohlverdientes Bad – von Harold Gabriel Weisz Carrington
- Kapitel 5
- Horror und Magie – Einführung von Martina Lüdicke
- Golem und ein kleines Mädchen – von Helene Wecker
- Der Golem mit tanzender Kinderschar – von Karin Harrasser
- Die Belebung der Filmkulisse – von Anna-Carolin Augustin
- Der Golem und Mirjam – von Cathy S. Gelbin
- Kapitel 6
- Außer Kontrolle – Einführung von Emily D. Bilski
- Mit glühendem Hammer erweckter Mann – von Arno Pařík
- Gefährliche Symbole – von Charlotta Kotik
- Aktuelle Seite: Gib acht, was du dir wünschst – von Marc Estrin
- Kapitel 7
- Doppelgänger – Einführung von Martina Lüdicke
- Aus dem Golem-Talmud – von Joshua Cohen
- Kitajs Kunst-Golem – von Tracy Bartley
- Der Golem als Techno-Imagination – von Cosima Wagner
- Siehe auch
- GOLEM – 2016, Online-Ausgabe mit ausgewählten Texten des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
- GOLEM – 2016, Printversion des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
- Der Golem. Von Mystik bis Minecraft – Online Feature, 2016
- GOLEM – Ausstellung , 23. Sep 2016 bis 29. Jan 2017