Der Begriff Tora-Wimpel leitet sich vom althochdeutschen Wort »Wimpfen« für Tuch oder Binde ab. Wimpel sind im deutschsprachigen Judentum seit dem 14. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts relativ bekannt. Aus Streifen der gereinigten Beschneidungswindel sind Wimpel zu einem langen Tuch aneinander genäht und mit aufwändigen Verzierungen und Ornamenten bemalt oder bestickt. Sie illustrieren Stationen im Leben eines jüdischen Mannes von seiner Geburt über Bar Mizwa und Hochzeit bis hin zum Tod.
Aus der Beschneidungsliturgie stammt der Segensspruch, der jeden Tora-Wimpel ziert: »Er möge heranwachsen zur Tora, zum Trauhimmel und zu guten Werken. Amen. Sela.« Dieser Segen formuliert die wünschenswerten Lebensziele eines jungen Mannes und die Hoffnung der Gemeinde auf ein hilfsbereites zukünftiges Mitglied.
Am dritten Geburtstag des Kindes wird der Wimpel in einer feierlichen Zeremonie an die Gemeinde übergeben. Häufig nimmt ein Vater seinen Sohn zu diesem Anlass erstmals mit in die Synagoge. Hier dient der Wimpel seinem eigentlichen Zweck: Die Schriftrollen für die nächste Tora-Lesung an der richtigen Textstelle zu umbinden. Denn für die wöchentliche Lesung wird die Tora-Rolle vom linken Stab abgerollt und auf den rechten aufgerollt. Der Wimpel schützt die Schriftrollen und hält diese in der gewünschten Position.
Ein Tora-Wimpel begleitet seinen Besitzer während seines gesamten Lebens und wird bei allen wichtigen Zeremonien benutzt. Während der Bar Mizwa eines Jungen umschlingt sein Wimpel die Tora-Rolle, später verziert er auch den Baldachin, unter dem seine Trauung stattfindet.
Der hier abgebildete Tora-Wimpel ist nicht nur außergewöhnlich detailliert verziert, sondern stammt aus der Hand eines besonderen Künstlers. Der Kantor Reuben Eschwege floh 1939 aus Würzburg in die USA. In seiner neuen Heimatstadt New York arbeitete er als Mohel (Beschneider) und wurde als solcher von vielen deutsch-jüdischen Emigrantenfamilien gebeten, Tora-Wimpel für ihre Söhne anzufertigen. Diese Familien knüpften damit auch auf dem fremden Kontinent an den Brauch ihrer deutschen Vorfahren an und bewahrten so ihre Traditionen.