In dem Gemälde »Kennst Du das Land?« verbindet R.B. Kitaj verschiedene Fragmente, die er mit der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) und mit dem Kampf gegen den Faschismus assoziierte. Die Soldaten in einer verschneiten Landschaft lenken den thematischen Fokus auf den Nationalismus und Militarismus in Spanien.
Eine weitere Assoziationsebene eröffnet das obere Feld des Bildes. Mit einer aufgeklebten Skizze nach Francisco de Goya (1746-1828), auf der eine Frau sich den Strumpf richtet, zieht Kitaj Parallelen zu einer Zeit, in der die spanische Gesellschaft durch Kämpfe zwischen Fortschritt und Reaktion geprägt wurde.
Der deutsche Originaltitel des Gemäldes sowie die zwei scheinbar zufällig im Bild platzierten Zitronen verweisen auf einen Vers aus Johann Wolfgang Goethes Roman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (1795/96), der von der Sehnsucht nach Italien erzählt, die der Künstler hier auf Spanien überträgt.
Im Jahr 1953 verbrachte Kitaj seinen ersten Winter in Sant Feliu de Guíxols, einer Stadt nördlich von Barcelona. Dieser Ort wurde für ihn zu einem zweiten Zuhause, vor allem aufgrund seiner intensiven Freundschaft mit Josep Vicente Romà (1923-2011). Kitaj war fasziniert von Joseps starker Verbundenheit zu Katalonien, von seinem Kampf für die spanische Republik und seinem katalanischen Patriotismus. Diese Erfahrungen inspirierten Kitaj, sich mit Fragen seiner eigenen Herkunft und seiner jüdischen Identität zu beschäftigen. Dies sollte seine künstlerische Arbeit fundamental prägen.
»›Kennst Du das Land …‹ Goethe meinte in seinen berühmten Versen natürlich Italien, aber in meinem Bild geht es um Spanien, denn ich war verliebt in Katalonien, seit meine erste Frau und ich den Winter 1953 im Hafen von Sant Feliu de Guíxols verbrachten, wo ich dann zwanzig Jahre später ein Haus kaufte.
Was ich noch mehr liebte als Katalonien selbst, war meine Freundschaft mit Josep, dem wohl reinsten Herzen, das mir je begegnet ist, und in diesem Gemälde geht es eigentlich um das, was er ›unseren Krieg‹ nannte, den Krieg, der sein Spanien zerriss und sich in die Seelen so vieler Menschen, die ich gekannt habe, einbrannte.
Hommagen an Katalonien und an die Spanische Republik sind zu meinen Lebzeiten nichts Ungewöhnliches. Dieses Bild von mir ist nur ein weiteres kleines Altargemälde unter lauter frommen Gesellenstücken, die auf die Friedhöfe des Faschismus hinweisen. Ich habe es über viele Jahre aufbewahrt. Es schaukelt auf meinem Dachboden, in knarrender Nostalgie, und ermahnt mich, dass der Faschismus am Ende doch noch nicht tot ist (als bedürfte es da einer Ermahnung). Das Bild erinnert an eine verloren gegangene Zeit in meinem Leben, an einen Verlust, über den ich trauere.«
aus: Kitaj Interviewed by Richard Morphet, Richard Morphet (Hrsg.), R.B. Kitaj: A Retrospective, Tate Gallery 1994
»Die Franco-Ära versetzte Spanien in einen Schlaf mit bösen Träumen. Barcelona aber war mir jahrelang einer meiner liebsten schönen Träume, denn es blieb weitgehend so, wie es in Picassos Jugend gewesen war. Mit seinem herrlichen Hafenleben im Barrio Chino wurde es zu meiner Lieblingsstadt bei Nacht, zu meinem Weimarer Berlin, meinem Feld der Träume von einer vergangenen Kunst, die ich für meine eigene Kunst nutzen konnte. Ich lernte, mich immer wieder in diesen finsteren Gassen zu verlieren, auf der Suche nach Sex und alten Büchern und katalanischem Essen, mit einer Wachheit wie aus Picassos Blauer Periode, die mir als flüchtiger glücklicher Zufall bewusst war. In einer Januarnacht 1953 kamen meine Frau Elsie und ich mit einem klapprigen Bus aus Barcelona zum ersten Mal in Sant Feliu an. Wir erwachten morgens am Meer und beschlossen, zu bleiben, anstatt nach Wien zurückzukehren. Und so verbrachten Mr. und Mrs. Kitaj, 21 Jahre alt, den Winter hier.«
aus: R.B. Kitaj, Confessions of an old Jewish Painter, unveröffentlichte Autobiografie, R.B. Kitaj Estate
R.B. Kitaj über sein Gemälde »Kennst Du das Land?« (Ausschnitte aus der Hörführung zur Ausstellung, Sprecher: Armin Köstler)