Provenienzforschung
Wem hat ein Objekt gehört, bevor es Teil einer Sammlung wurde? Diese Frage nach der Herkunft von Sammlungsobjekten stellen sich Sammler*innen und Museumsmitarbeiter*innen von je her. Eine „gute Provenienz“ (oder auch „Pedigree“ – Stammbaum – genannt), etwa die Herkunft aus einer renommierten Sammlung, steigerte stets den Wert und das Ansehen von Kunst und Kulturgütern. Heute dient die Erforschung früherer Besitzverhältnisse von Sammlungsobjekten hauptsächlich der Aufklärung von Besitz- und Eigentumswechseln in Unrechtskontexten wie etwa im Nationalsozialismus, in den Kolonien oder in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR. Im Fokus der Provenienzforschung am Jüdischen Museum Berlin (JMB) steht die Suche nach Kulturgütern, die im Zuge der NS-Verfolgung entzogen wurden.
Eng verbunden mit der Provenienzforschung ist die Frage der Rückgabe (Restitution). Mit den 1998 verabschiedeten Washingtoner Prinzipien verpflichteten sich die 44 Unterzeichnerstaaten, ihre öffentlichen Sammlungen auf Objekte zu überprüfen, die ihren Vorbesitzer*innen zwischen 1933 und 1945 „NS-verfolgungsbedingt entzogen“ wurden. Ist dies der Fall, sollen die rechtmäßigen Eigentümer*innen ermittelt und gemeinsam mit ihnen nach „gerechten und fairen Lösungen“ gesucht werden. Deutschland folgte dieser Selbstverpflichtung 1999 mit der Gemeinsamen Erklärung. Da der Fokus dieser Grundsatzdokumente auf entzogenem Privateigentum lag, wurde die Selbstverpflichtung mit der Theresienstädter Erklärung von 2009 auch auf geraubte Judaica und jüdisches Kulturgut aus Gemeindebesitz ausgeweitet.

Als Ergebnis unseres Provenienzforschungsprojektes zur Gemälde- und Skulpturensammlung konnte Anton von Werners Ölskizze Das Gastmahl der Familie Mosse 2016 an die Erben restitutiert werden; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe
Herausforderungen einer besonderen Sammlung
Das Museum hat den Auftrag, Zeugnisse des deutschen Judentums zu bewahren. Zu diesen gehört das Erbe von Jüdinnen*Juden, die in der NS-Zeit verfolgt wurden. In der Sammlung des JMB befinden sich deshalb auch Objekte, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug zu vermuten ist, deren ursprüngliche Eigentümer*innen oder Erb*innen aber nicht bekannt sind.
Als Jüdisches Museum fühlt sich unser Haus den vom NS-Regime verfolgten, beraubten, ermordeten Jüdinnen*Juden sowie ihren Nachkommen in besonderer Weise verpflichtet. Die Provenienzforschung hat daher die zentrale Aufgabe, die Herkunft dieser Objekte zu klären und mögliche Erb*innen zu finden, denen sie restituiert werden können.
Dieser Aufgabe geht das JMB seit 2015 systematisch nach. 2023 wurde eine feste Stelle für Provenienzforschung eingerichtet, um die gesamte Sammlung zu untersuchen.
Kontakt
Elisabeth Weber
Provenienzforschung
T +49 (0)30 259 93 491
e.weber@jmberlin.de
Umgang mit den Forschungsergebnissen
Die Ergebnisse unserer Recherchen stellen wir sukzessive über unsere Online-Sammlungen und – im Fall unserer Buchbestände – künftig auch über die kooperative Datenbank Looted Cultural Assets zur Verfügung. Finden wir geraubte Objekte in unseren Beständen, suchen wir aktiv nach potenziellen Erb*innen und bemühen uns um gerechte und faire Lösungen. Falls die ursprünglichen Eigentümer*innen nicht identifiziert werden können, melden wir die Objekte in der LostArt-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste.
Blick hinter die Kulissen: Provenienzforschung am JMB (2)
Provenienzforschung in der Gemälde- und Skulpturensammlung 2015–2016
Die Provenienzforschung am Jüdischen Museum begann im April 2015 mit der Untersuchung der Gemälde- und Skulpturensammlung. Eines der Ergebnisse dieses zweijährigen, vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) unterstützten Projektes war die Klärung der Provenienz der Ölskizze Das Gastmahl der Familie Mosse des Künstlers Anton von Werner. Sie konnte im Dezember 2016 an die Erben restituiert werden.
Provenienzforschung in der Judaica-Sammlung 2017–2019
In einem weiteren DZK-finanzierten zweijährigen Projekt wurden von 2017 bis 2019 die Provenienzen der jüdischen Zeremonialgegenstände in unserer Sammlung – wie Tora-Schmuck, Chanukka-Leuchter oder rituelle Textilien – untersucht. Einen Schwerpunkt dieser Recherche bildete die Sammlung des Münsteraner Judaisten und Kantors Zwi Sofer, die 1981 für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums erworben wurde und sich heute im Jüdischen Museum Berlin befindet.
Herzlicher Dank gebührt den Angehörigen von Zwi Sofer, die Zugang zu seinem privaten Nachlass gewährt und das Projekt von Anfang an unterstützt haben.
Wer war Zwi Sofer?
Zwi Sofer (1911–1980), Judaist, Kantor und Sammler, geb. in Podolien, 1929 Alija, Studium in Wien, 1938 Emigration nach Palästina, ab 1959 engagierte er sich in Deutschland für den Wiederaufbau jüdischer Gemeinden

Hier präsentiert Zwi Sofer einen großen Chanukka-Leuchter aus seiner Sammlung. Ort der Aufnahme nicht eindeutig bestimmbar, Anfertigung 1975 in Lübeck, Duisburg oder Hannover; Nachlass Zwi Sofer, Münster, Foto: Unbekannt
Beitrag in Provenienz & Forschung
Friedlander, Michal/Augustin, Anna-Carolin: „Provenienzforschung zu Judaica am Jüdischen Museum Berlin“, in: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (Hg.): Provenienz & Forschung 2 (2018), S. 13–19 (zum Heft auf der Verlagshomepage).
Download (PDF / 132.19 KB / auf Deutsch / nicht barrierefrei)Beitrag im Museumsjournal
Augustin, Anna-Carolin: „Von Tora-Schmuck, Chanukka-Leuchtern und rituellen Textilien. Auf der Spur verschlungener Judaica-Biografien“, in: Museumsjournal Berlin & Potsdam 1 (2019), S. 26–27.
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