Film als Methode einer diskriminierungskritischen Pädagogik
Dokumentation der Arbeitsgruppe
Welche Chancen bieten filmpädagogische Projekte, um Diskriminierungen und Zuschreibungen bewusst zu machen? Wie können Filmprojekte Teilnehmende aktivieren, sich mit unterschiedlichen Lebensvorstellungen auseinanderzusetzen? Welche Methoden fördern Multiperspektivität?
Ausgehend von Erfahrungen der Geschichtswerkstatt des Jüdischen Museums Berlin und der Israel/Palästina-Jugendbegegnungsreise der „BildungsBausteine gegen Antisemitismus“ wurden Möglichkeiten filmpädagogischer Projekte für eine diskriminierungskritische Pädagogik diskutiert.
Fabian Schnedler moderierte diese Arbeitsgruppe unter Beteiligung von
- Gunnar Meyer, BildungsBausteine gegen Antisemitismus, Berlin
- Vera March Berg, Refik-Veseli-Schule, Berlin
Unter diskriminierungskritischer Pädagogik verstehen wir eine Bildungsarbeit, die davon ausgeht, dass bestimmten Individuen und Gruppen die gesellschaftliche Teilhabe erschwert oder verweigert wird und dass sie vielen Formen alltäglicher und struktureller Diskriminierung ausgesetzt sind. Diese Tatsache wird in Methoden, Themen und Strukturen des Lernens beachtet und auch zum Gegenstand der Pädagogik gemacht. Grundlage dieses Bildungsverständnisses ist ein kritischer Blick auf gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse.
„Welche Chancen bieten Filmprojekte für eine diskriminierungskritische Pädagogik?“ von Vera March-Berg und Fabian Schnedler
Im Projekt Geschichtswerkstatt, das das Jüdische Museum Berlin zusammen mit Lehrer*innen seit 2012 an der Refik-Veseli-Schule als Wahlpflichtfach anbietet, haben wir gute Erfahrungen mit der Arbeit mit Filmen und dem Erstellen eines Filmes gemacht. Film war ein hilfreiches pädagogisches Mittel, um Diskriminierungen aufzugreifen, zu besprechen und zu bearbeiten.
Viele Jugendliche und Erwachsene gehen täglich mit filmischen Medien um. Filmprojekte bieten Teilnehmenden die Möglichkeit, Film als Ausdrucksformen für sich auszuprobieren, d.h. sie können beim Analysieren oder Machen eines Films Filmsprachen kennen lernen (Medienkompetenz). Zu unterscheiden sind Projekte, die kreativ mit fertigen Filmprodukten arbeiten (vgl. Broschüre „Film ab! Clips gegen Antisemitismus!“) und Filmprojekte, bei denen die Teilnehmer*innen selbst einen Film erstellen.
Bereits durch die Verteilung von Aufgaben und Rollen beim Erstellen des Schülerfilms der Geschichtswerkstatt (Kamera, Ton, Skript, Interviewfragen entwickeln) war das Projekt partizipativ. Indem die Mitwirkenden bei der Themenwahl und -umsetzung beteiligt waren, wurde der Film dann auch zum Film der Schüler*innen.
Die inhaltliche Vorbereitung des Films stand an erster Stelle. Diskriminierungsformen und deren Strukturen waren der Ausgangspunkt. Schüler*innen haben zum Thema Diskriminierungen ein Gebiet ausgesucht, das sie besonders interessiert. Leitfragen waren: „Worüber wollt ihr reden, was wollt ihr anderen in dem Film zeigen?“ Der daraus entstandene Dokumentarfilm „X-Berg, mein Name“ über jüdische und muslimische Kreuzberger*innen bot die Chance, verschiedene Perspektiven kennen zu lernen und im Film zu zeigen (Multiperspektivität). Schüler*innen setzten sich mit unterschiedlichen Positionen und Erfahrungen zu den Themen Heimat, Diskriminierung, Religiösität, Liebe und Sexualität auseinander.
Ein Hauptfallstrick scheint der Wunsch nach einem „perfekten“ Film zu sein, so dass der Film als Produkt wichtiger wird als der Lernprozess mit den Teilnehmenden. Die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten müssen be- und geachtet werden. Zuschreibungen seitens der Pädagog*innen (projektives Othering) sollten reflektiert, unterschiedliche Zugehörigkeitserfahrungen mit den Teilnehmenden besprochen werden.
„Chancen und Fallstricke der medienpädagogischen Arbeit“ von Gunnar Meyer
Aus der Praxis möchte ich hier zwei Formate der diskriminierungskritischen medienpädagogischen Arbeit mit Film vorstellen und sie miteinander in Bezug setzen und Chancen und Fallstricke herausarbeiten.
Die „BildungsBausteine gegen Antisemitismus“ haben in den letzten drei Jahren sehr positive Erfahrungen mit dem Modellprojekt „Film Ab – Medienseminare gegen Antisemitismus“ in Kooperation mit der Jugendbildungsstätte Konradshöhe gemacht. In einer Projektwoche haben sich Jugendliche mit Antisemitismus auseinandergesetzt, anhand der ihnen wichtigen Aspekte ein Skript entwickelt, einen Kurzspiel- oder Interviewfilm gedreht und das Material zu einem Videoclip geschnitten. Positiv an diesem Format ist die konzentrierte und ortsgebundene Arbeitsatmosphäre. Auf Diskussionen und Erfahrungen des Vortags wurde sich direkt bezogen, eine kontinuierliche Entwicklung und Reflexion war so gewährleistet. Auch der überschaubare und stark strukturierte Zeitrahmen spornte die Teilnehmenden an. Ein Fallstrick dieses Formates ist diese starke Vorstrukturierung – nicht allen Impulsen und Fragestellungen der Teilnehmenden konnte in den ersten beiden Tagen ausreichend nachgegangen werden.
Als zweites möchte ich eine AG vorstellen, die der Arbeitskreis „BildungsBausteine gegen Antisemitismus“ im Jahr 2012 an der Refik-Veseli-Schule in Kreuzberg durchgeführt hat. Hier konnte im Gegensatz zu der Projektwoche intensiver auf die Fragen und Impulse der Teilnehmenden eingegangen werden. Am Ende der Beschäftigung mit Themen wie Diskriminierung, Antisemitismus und dem Nahostkonflikt stand eine Begegnungsreise nach Tel Aviv und Berlin, die von der Stiftung EVZ gefördert wurde.
Im Zuge dieser sich über ein Jahr lang erstreckenden Auseinandersetzung entstand die Spielfilm-Doku „Verkehrte Welt“, die die Reise nach Israel sowohl dokumentiert, die Erfahrungen der Teilnehmenden einfängt und als vordergründiges Thema sich mit Geschlechterverhältnissen auseinandersetzt. In dem Film werden Geschlechterperspektiven umgekehrt, die Schauspieler*innen erhalten die Möglichkeit, sich in die Rolle des „anderen Geschlechts“ einzufühlen. In gegenseitigen Interviews am Ende des Films haben die Teilnehmenden sich die Möglichkeit geschaffen, über eigene Geschlechterrollen zu reflektieren und sie kritisch in einen gesellschaftlichen Kontext zu verorten.
Tagungsdokumentation: Schule und Museum in der Migrationsgesellschaft (19)