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Historisches Lernen in der Migrationsgesellschaft

Dokumentation der Arbeitsgruppe

Lernen in der Einwanderungsgesellschaft kann unterschiedliche Ansätze verfolgen. Hierbei hinterfragten wir die Rolle von Lernenden und Lehrenden. Welche Rolle spielen eigene Identifizierungen und das Gefühl von Zugehörigkeit in Lernsituationen? Welche Rolle spielt die Zielgruppe für die Erarbeitung pädagogischer Materialien? Welche Rolle spielt die soziale Position und Zugehörigkeit von Lehrer*innen?

Ausgehend von Erfahrungen in der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz und in der Geschichtswerkstatt des Jüdischen Museums Berlin mit der Refik-Veseli-Schule wurden Vor- und Nachteile diskutiert und Möglichkeiten für das historische Lernen in der Einwanderungsgesellschaft gesucht.

Ulrike Wagner moderierte diese Arbeitsgruppe mit Inputs von

Historisches Lernen in der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz von Dr. Elke Gryglewski

Bevor von „den Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ gesprochen wird, die angeblich nicht an der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust interessiert sind, ist sinnvoll, sich mit der eigenen Haltung und der der Mehrheitsgesellschaft zum Umgang mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Anhand von zwei Übungen, wurde der Diskurs zum historischen Lernen zu NS und Holocaust in den Blick genommen, um anschließend Überlegungen zu besprechen, die bei historischer Bildung alle Adressaten und Adressatinnen gleichermaßen ansprechen.

Historisches Lernen im Geschichtsunterricht von Selman Erkovan

Historisch-politisches Lernen und vor allem der Geschichtsunterricht finden vor dem Hintergrund von kulturellen Nationsbildungs- sowie Erhaltungsprozessen statt. Die Herausbildung der jeweiligen Identitäten von Individuen, Gesellschaften und Nationalstaaten vollzieht sich somit vor diesem Hintergrund, nach dem Motto: „Wie wir (Deutschen) historisch wurden, was wir heute sind.“ Und sie bestimmen, wer historisch zu „uns“ heute gehört und wer nicht. Anschließend an diesen Umstand stellt sich die Frage, welche Rolle eigentlich Identitätsbildungsprozesse in der Holocaust Education im sog. Einwanderungszusammenhang in Deutschland spielen? In den letzten Jahren gab es verstärkt Lehr- und Lernkonzepte, die darauf abzielten, Schüler*innen sowie Jugendliche mit sog. Migrationshintergrund „dort abzuholen, wo sie stehen.“ Es wurden Lehr- und Lernkonzepte entwickelt, die direkt an ihre (vermeintlichen) kulturellen Identitäten anknüpften, um sie für die Holocaust Education zu gewinnen: Es wurden dezidiert „Muslime“, „Migranten“ und insbesondere „Türken“ angesprochen. Diese Konzepte haben beachtliches geleistet: Sie haben „Einstiegsvektoren“ für Jugendliche zu einer Thematik geöffnet, die ihnen unter Umständen vollkommen verschlossen und „entrückt“ waren.

Außerdem haben sie gesellschaftlich dazu beigetragen, Einwanderung als Bereicherung zu begreifen und somit einen nachhaltigen, inklusiven Einstellungswandel mitgestaltet. Und sie stellen bedeutende Beiträge in der Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Antisemitismus-Problem dar. Aber dürfen Pädagogik und Didaktik an dieser Stelle stehenbleiben? Müssen wir uns nicht kritisch hinterfragen, um solche Konzepte weiterzuentwickeln? Es stellen sich berechtigte Fragen an diesen Ansätzen:

  • Sind Zielgruppenadressierungen, wie „Türke“ oder „Moslem“, überhaupt verwendbare Kategorien in hochglobalisierten, hybrid-kulturellen wie hochheterogenen Milieus, um Schüler*innen für die Thematik Schoa sowie Nationalsozialismus „dort abzuholen, wo sie (angeblich) stehen“?
  • Sind solche Zielgruppenkategorien nicht vielleicht identitär-kollektive Selbstvergewisserungen, um uns wieder „Deutsch“ fühlen zu können, nach dem Motto: „Ich bringe dem „Türken“ Schoa bei, damit er auch Deutsch wird.“
  • Darf vermeintliche Herkunft zu einer Hilfskategorie in der notwendigen Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlich stattfindendem Antisemitismus werden?
  • Oder ist dies eher als nicht-intendierter, aber trotzdem gesamtgesellschaftlich vollzogener Fingerzeig zu „dem antisemitischem Moslem“ zu verstehen, als ein gesamtgesellschaftlicher Relativierungsversuch für den „nicht-migrantischen“ Antisemitismus?

Diese zentralen Fragen sind in Anlehnung an geschichtsdidaktische, rassismuskritische sowie postkoloniale Wissenschaftstheorien heraus entwickelt und diskutiert worden.

Unbewusste diskriminierende Zuschreibungen in historisch-politscher Bildung von Fabian Schnedler

Dort, wo Identitäten verhandelt werden, in der historisch-politischen Bildung, im Geschichtsunterricht oder in der Arbeit zu Diskriminierungen liegen die Fallstricke unbewusster diskriminierender Zuschreibungen oft nicht weit. D.h. dort, wo man eigentlich gegen Ausgrenzung arbeiten will, findet Ausgrenzung und Diskriminierung statt.

Wie kann man gegen Diskriminierungen arbeiten ohne diskriminierende Kategorien zu reproduzieren? Mit welchen Methoden und Ansätzen kann man verhindern, dass eigene diskriminierende Zuschreibungen z.B. bei der Unterrichtsplanung wirkungsmächtig werden? Ich sehe folgende Wege aus der Falle: die Reflexion über eigene Zuschreibungen, die Beteiligung der Schüler*innen (Partizipation) und Wissen über Diskriminierung vermitteln und das Handeln gegen Diskriminierung stärken.

Reflexion eigner Zuschreibungen

  • Reflexion eigener Zuschreibungen möglichst nicht alleine, sondern mit externer Evaluation,
  • Reflexion eigener diskriminierender Zuschreibungsmuster,
  • Reflexion bei der Auswahl der Themen und Materialien,
  • Reflexion der Adressierung der Schüler im Unterricht.

Also, man sollte die eigene Praxis unter dem Gesichtspunkt beobachten (lassen), wo versteckte oder latente Mechanismen der Diskriminierung nicht wahrgenommen werden können.

Partizipation

  • Meinungsbilder und Forschungsinteressen der Schüler innerhalb des Themenfeldes erfragen,
  • Raum für eine selbst gewählte Forschung der Schüler in Projekten ermöglichen,
  • Feedback der Schüler einholen, offene Gesprächskultur möglich machen.

Wissen über Diskriminierungen vermitteln, Handeln gegen Diskriminierungen stärken

  • Schüler*innen ermöglichen, Diskriminierungen auch von sich aus anzusprechen,
  • Raum geben, um über unterschiedliche Zugehörigkeitserfahrungen zu sprechen.

Kontakt

Dr. Diana Dressel
Leiterin der Bildungsabteilung
T +49 (0)30 259 93 515
d.dressel@jmberlin.de

Tagungsdokumentation: Schule und Museum in der Migrations­gesellschaft (19)

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