Berlin in Zeiten der Cholera
Ein Blick in unser Archiv
Lebensgefährliche Epidemien gab es auch früher… In Berlin brach 1837 die Cholera aus und 2.429 Menschen starben daran. Louis Röhmann, 1819 im damals westpreußischen Märkisch Friedland geboren (polnisch: Mirosławiec), war Schüler am Königlich Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin. Dort erlebte er die Situation vor Ort. In unserem Archiv bewahren wir sein Tagebuch, worin er zwischen August und Oktober 1837 mehrfach über den Verlauf der Epidemie berichtet. Seine Einträge zeigen einige Parallelen zur heutigen Corona-Pandemie.
Am 11. August schreibt der 18-Jährige: „Man munkelt, daß die Cholera wieder hier uns einen Besuch abstatte“. Sieben Tage später ist aus dem Gerücht Gewissheit geworden: „Die Cholera macht ziemlich Fortschritte, doch ich kehre mich nicht darum, wenngleich meine Constitution mir Schonung rathen sollte.“ Am 21. August zeigen sich schon erste Auswirkungen der Epidemie im Schulalltag: „Lehrer u. Schüler sind schlaff u. viele fehlen wegen Krankheit u. viele Stunden fallen aus, was mir schon ganz recht ist. Auch unser Kastellan [Verwalter] ist an der Cholera gestorben u. d[ie] Krankheit greift immer mehr um sich.“
Die vordringliche Sorge von Louis galt aber nicht sich selbst, sondern seiner Mutter, die im fernen Friedland lebte: „ich ängstige mich nur, daß sich Mutter ängstigen wird.“ Er schreibt ihr einen Brief, um sie zu beruhigen, indem er „das Ganze lächerlich zu machen“ sucht. Doch auch er beginnt die Infektionskrankheit ernster zu nehmen: „Die Cholera fängt an, einen drohenderen Charakter anzunehmen u. ich will mich etwas Diäter halten.“ Am 30. August notiert er: „die Cholera nimmt noch immer zu u. d[ie] Leute bekommen Angst“, und am 6. September: „Die Cholera fordert noch immer bedeutende Opfer u. es herrscht hier eine ziemliche Angst, bes[onders] unter den reichen Juden“. Drei Tage später stellt er fest, dass immer mehr Klassenkameraden Berlin verlassen und vor der Cholera in ihre Heimatstädte fliehen – oder, wie er süffisant hinzufügt, „aus Faulheit u. Heimweh“.
Er sorgt sich derweil um seine Mutter, denn: „Auch in der Nähe von Friedland soll diese Seuche wüthen, Gott behüte unsere Stadt davor!“ Kurz darauf erfährt er, dass die Schule zum 20. September schließt: Sie werden „auf 3 Wochen (wegen der Cholera) Ferien bekommen.“ Am 21. September erkrankt er selbst an schwerem Durchfall, was er auf den Verzehr von frischem Obst zurückführt. Er beruhigt sich: „Angst vor der Cholera habe ich durchaus nicht.“ Anfang Oktober scheint sich die Lage in Berlin zu beruhigen. Und auch Louis selbst ist wieder genesen: „Die Cholera nimmt hier sehr ab, wozu wohl die Diät der in dieser Hinsicht wirklich zu lobenden Berliner nicht wenig beiträgt.“ Sein letzter Eintrag zur Epidemie datiert vom 24. Oktober 1837: „Die Cholera hat hier fast ganz aufgehört, eben so in den meisten bedeutenden Städten Preußens.“
Louis Röhmann, dessen jüdischer Vorname Levy war, absolvierte im Oktober 1838 sein Abitur und studierte im Anschluss bis 1842 Medizin an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. 1843 erhielt er die Approbation als „practischer Arzt und Wundarzt“. Er eröffnete eine eigene Arztpraxis und praktizierte bis zu seinem frühen Tod 1858. Louis Röhmann fand seine letzte Ruhe auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee in Berlin.
Das Tagebuch von Louis Röhmann sowie einige Ausbildungs- und Berufsdokumente wie z.B. sein Abiturzeugnis und die Approbationsurkunde gelangten 2005 ins Archiv des Jüdischen Museum Berlin. Nachfahren, die 1936 in die USA emigriert waren und die Dokumente damals mitgenommen hatten, schenkten sie dem Museum. Das Archiv sammelt und bewahrt zahlreiche Nachlässe, Familiensammlungen und Einzeldokumente jüdischer Familien und Einzelpersonen.
Dr. Doreen Tesche, Digital & Publishing und Jörg Waßmer, Archiv
Zitierempfehlung:
Doreen Tesche, Jörg Waßmer (2020), Berlin in Zeiten der Cholera. Ein Blick in unser Archiv.
URL: www.jmberlin.de/node/7521
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