In manchen Familien ist das Thema Beschneidung Auslöser intensiver Diskussionen, wie auch in den Filmbeispielen in unserer aktuellen Sonderausstellung »Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung« deutlich wird. Oliwia kennt diese schwierige Situation: Während der Eingriff für ihren muslimischen Mann selbstverständlicher Teil der Tradition ist, argumentiert vor allem ihr katholischer Vater heftig dagegen. Soll also ihr vierjähriger Sohn beschnitten werden? Und wie sieht Oliwia die Praxis selbst? Über diese Fragen und ihre letztendliche Entscheidung habe ich mit Oliwia gesprochen.
Oliwia*, aus welcher Konstellation speist sich bei Euch der Streit über die Beschneidung?
Mein Mann ist Marokkaner und Moslem, ich komme aus einem römisch-katholischen Elternhaus, bin allerdings 2006 zum Islam konvertiert. Nun haben wir vor vier Jahren einen Sohn bekommen. Für meinen Mann war von Anfang an klar, dass Jamal beschnitten wird. Das ist für ihn Teil der Tradition und ein Symbol der Zugehörigkeit zum Islam.
Für Dich war die Sache aber gar nicht so klar?
Nein. Eigentlich bin ich nicht wirklich für die Beschneidung. Ich kenne die Vor- und Nachteile, kann aber auch die religiöse Überzeugung meines Mannes verstehen. Für ihn ist die Beschneidung ein wichtiges Zeichen als Bekenntnis zur Religion. In meiner Familie aber ist sie eben kein Teil der Tradition – im Gegenteil! Insbesondere mein Vater ist stark dagegen. Er fragt immer, warum wir Jamal verändern sollen, wenn Gott ihn doch so geschaffen hat. Warum sollen wir ihm Schmerzen zufügen? Und diese Frage verstehe ich als Mutter natürlich ganz besonders.
Inwiefern beeinflusst Dich Deine Sorge als Mutter bei der Frage nach Jamals Beschneidung?
Mittlerweile sehe ich auf der einen Seite vor allem die Vorteile des Eingriffs, wenn ich zum Beispiel an die hygienischen Aspekte denke. Dann ist mir auf der anderen Seite auch der Islam wichtig. Mir ist bewusst, dass die Beschneidung eine religiöse Pflicht im Islam darstellt – aber ebenso wie das Kopftuch handelt es sich dabei für mich um eine ehemalige Pflicht, die in unserer heutigen Zeit und angesichts unseres Lebensortes reformierbar ist. Für meinen Mann stellt sich das natürlich ganz anders dar, aber ich bin eben in Deutschland aufgewachsen und hier gilt, dass Kinder selbst entscheiden sollen. Diese Entscheidung nehme ich meinem Sohn mit der Beschneidung weg, die auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Entscheidender für mich ist allerdings zugegebermaßen, dass die Beschneidung wahrscheinlich mit Schmerzen für ihn verbunden ist.
Euer Sohn ist gerade vier Jahre alt geworden, im Judentum werden Kinder am achten Tag der Geburt beschnitten. Spielt Jamals Alter bei Deinen Bedenken eine Rolle?
Ja, ich finde die Praxis im Judentum viel besser. Auch am achten Tag tut der Eingriff den Kindern wahrscheinlich weh, aber sie werden sich nicht daran erinnern. Mein Sohn geht in einen jüdischen Kindergarten und ich habe mich mit vielen jüdischen Müttern über das Thema unterhalten. Heute denke ich, wir hätten das einfach schon früher machen lassen sollen.
Und werdet Ihr Jamal nun beschneiden lassen?
Ja, in diesem Sommer.
Deine Bedenken sind sehr stark – warum hast Du Dich doch für die Beschneidung entschieden?
Wenn ich ehrlich bin um des Friedens in der Familie willen. Meinen Eltern werde ich aber nicht Bescheid sagen.
Du willst es ihnen verheimlichen?
Ja, anders ginge es nicht. Meine Mutter wäre wahrscheinlich sogar einverstanden. Als Krankenschwester weiß sie, dass es ein häufiger Eingriff ist, der oft nicht aus religiösen, sondern aus medizinischen Gründen durchgeführt wird. Aber mein Vater ist eben strikt dagegen. Für ihn verletzt die Beschneidung die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Insofern kam ihm die Beschneidungsdebatte vor zwei Jahren sehr recht, weil sie ihm Argumente lieferte.
Wie gehen Deine römisch-katholischen Eltern grundsätzlich damit um, dass Du konvertiert bist?
Eigentlich haben Sie kein Problem damit, aber in manchen Situationen macht es sich schon bemerkbar. Etwa wenn ich den leckeren polnischen Schweinebraten ablehne oder das Tiramisu, weil zu viel Rum darin ist. Vieles führen sie dann auf den Einfluss meines Mannes zurück, weil sie einfach nicht nachvollziehen können, dass meine Konversion ein innerer Prozess ist, der schon viel früher begann. Ich studiere ja auch Islamwissenschaften und habe mich mit dem Thema Religion bereits auseinandergesetzt, als ich meinen Mann noch gar nicht kannte. Natürlich hätten sie auch gerne einen Schwiegersohn, der mal einen Wodka mittrinkt und nicht fünf Mal am Tag seinen kleinen Teppich ausrollt.
Wie würdest Du entscheiden, wenn die Beschneidung Eures Sohnes für Deinen Mann nicht so selbstverständlich wäre?
Dann würde ich es nicht machen lassen. Denn ich tue meinem Sohn weh und lasse ihn nicht selbst entscheiden – das ist aber etwas, was ich mit mir ausmachen muss. Ich kann hier bei mir auch eine Entwicklung beobachten: Vor der Geburt meines Sohnes habe ich das Thema gar nicht so kritisch gesehen, aber als Mutter wird man eben empfindlich, wenn es um die Gesundheit des eigenen Kindes geht.
Nun lasst Ihr Jamal im kommenden Sommer beschneiden. Was sind Deine Hoffnungen?
Ich wünsche mir natürlich, dass alles gut geht und er keine Schmerzen hat. Auf der spirituellen Ebene bedeutet die Beschneidung für mich, dass mein Kind dann im Kreis des Islams ist. Ich bin im Inneren Muslima und möchte, dass mein Sohn Teil der muslimischen Gesellschaft ist. So hat der Eingriff eine besiegelnde Bedeutung.
Das Gespräch mit Oliwia führte Alice Lanzke, Medien
*Anmerkung: Alle Namen auf Wunsch der Interviewpartnerin geändert
Ich finde es faszinierend (und auch erschreckend) das das hier schon das 4. Interview mit Eltern ist, und sich anscheinend keiner mit der Tatsache beschäftigt seinem Kind (Sohn) den empfindlichsten Teil des Geschlechtsteils abzuschneiden.
Wie lamm man an diesem Basiswissen vorbeirecherchieren?
Das ist seit 2007 bekannt, die Eltern der heutigen Väter konnten das nicht wissen, aber heute kann und sollte das jedes Elternteil wissen.
Stattdessen kommt bei jedem Elternteil die Aussage das man ja Säuglinge ruhig beschneiden können weil das ja nicht so schlimm sei, selbst wenn es ‚wahrscheinlich‘ weh tut. Selbst die Familie die ihren Jungen nicht beschneiden ließ sprach von dem ‚Vorteil‘ das man ohne Betäubung beschneiden könne.
Dazu passt das Interview mit Herrn Goldberg, dem Mohel der auch heute noch auf seiner Webseite stehen hat das Säuglinge kein Schmerzempfinden haben, eine Aussage die seit Jahren im krassen Widerspruch zu Erkenntnissen der Schmerzforschung steht und einen Arzt wohl die Zulassung kosten dürfte.