Junge Menschen heiraten immer seltener und diejenigen, die es doch tun, verabschieden sich von ihrem Ledig-Sein mit zunehmend großem Aufwand. In Nordamerika sind Bachelor- und Bachelorette-Partys berühmt und berüchtigt für die Alkohol- und Freizügigkeitsexzesse von Braut und Bräutigam. Dieselben Partys werden in England als »stag & hen nights«, Nächte der Hirsche und Hennen, bezeichnet. In Deutschland pflegte man einst, am »Polterabend« Porzellan zu zerschlagen. Heute torkeln Gruppen von jungen Männern und Frauen mit auffällig bedruckten T-Shirts und groben Tröten getrennt voneinander durch die Fußgängerzonen.
Junge Juden in den USA sind derweil im Begriff, sich eine osteuropäische Tradition zu eigen zu machen: den »Tisch« (Jiddisch für Esstisch, eine Kurzform für »Chosons Tisch«, die Tafel des Bräutigams).
Dieser neue alte Brauch ist womöglich verwandt mit einer Chassidischen Tradition gleichen Namens, die die Verbindung zwischen dem Rabbiner und seinen Gemeindemitgliedern stärken soll. Ein »Tisch« bringt den Bräutigam mit seinen (männlichen) Freunden und Verwandten zusammen – sowie mit dem Rabbi, der die Zeremonie leitet. Sofern er dazu (noch) in der Lage ist, zelebriert der Bräutigam hier den Nachmittags-Gottesdienst, während seine Freunde ihn mit Trinksprüchen, Singen und Späßen zu unterbrechen versuchen. Es geht darum, mögliche Fehler des Bräutigams an seinem Jubeltag zu überspielen, Spannungen zu lösen oder sich einer allgemeinen Heiterkeit zu erfreuen.
Bei einer »grünen« Hochzeit auf einer Farm außerhalb von New York fand kürzlich ein »Tisch« statt, der eine gleichberechtigte Eheschließung vorbereiten sollte: Die Hochzeits-Gesellschaft teilte sich nach Geschlechtern auf. Die Frauen versammelten sich im Haus, um der Braut Glück- und Segenswünsche auszusprechen, Anekdoten zu erzählen, Sprüche zum Besten zu geben, Rat zu erteilen, gemeinsam zu singen und zu beten. Die Braut selbst war vergleichsweise entspannt, die Beiträge eher poetisch als praktisch: Saint-Exupéry wurde zitiert, außerdem Shakespeare.
Was die Männer derweil machten, kann ich nicht sagen, weil sie sich im Garten versammelten. Dem Vernehmen nach gab der Bräutigam eine »Dvar Tora« (einen Kommentar zum aktuellen Wochenabschnitt aus den fünf Büchern Mose), während die Männer ihm, wie üblich, ins Wort fielen: Sie animierten ihn zum Singen und ließen ihre Hosen fallen. Offensichtlich hatten sie dabei viel Spaß, denn der Bräutigam tauchte anschließend mit einer Baseball-Mütze auf, auf der vier Buchstaben aufgedruckt waren: YOLO – »You Only Live Once« (Man lebt nur einmal).
Der »Tisch« sollte – so war vorab einer Rundmail zu entnehmen – ein Netzwerk für die Eheleute knüpfen und die Zustimmung zu ihrer Ehe bekunden. Aber so, wie er abgehalten wurde, schien er vielmehr der Gemeinde selbst zu dienen – weit über das Brautpaar hinaus: Er bezog eine große Gruppe von Menschen in eine Tradition mit ein und verlieh ihnen Aufgabe und Verantwortung – für die Einzelnen, für das Paar und für die Ehe insgesamt.
Da die Ehe ebenso wie die (nichtorthodoxe) jüdische Gemeinde nicht mehr die Verbindlichkeit haben, die ihnen einst zukam, dient diese Wiederbelebung der Tradition auch dazu, für beide zu werben.
Naomi Lubrich, Medien