Als Fred Stein 1933 Deutschland verlassen musste, war er gerade mal 24 Jahre alt. Der Sohn eines Rabbiners und Mitglied der sozialistischen Arbeiterpartei, hatte Jura studiert und wollte sich als Anwalt für die Rechte anderer Menschen einsetzen. Als er durch Zufall erfuhr, dass die Gestapo ihn verhaften wollte, floh er unter Vortäuschung einer Hochzeitsreise mit seiner Ehefrau Lilo nach Paris. Im Exil war das junge Ehepaar gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren.
Das gemeinsame Hochzeitsgeschenk, die Leica, erwies sich dabei als das richtige Werkzeug: Fred Stein begann zu fotografieren und fertigte Straßenbilder der Stadt Paris und Porträtaufnahmen von bekannten Persönlichkeiten an, viele davon Emigranten aus Deutschland. 1941 gelang Fred und Lilo Stein, nun mit gemeinsamer Tochter, die Flucht ein zweites Mal. Mit einem der letzten Schiffe erreichten sie New York. Dort nahm Fred Stein die Porträt- und Straßenfotografie wieder auf.
1958 kehrte Fred Stein das erste Mal nach 25 Jahren nach Deutschland zurück. Anlass der Reise war das geplante Buch Deutsche Portraits, das Will Grohmann herausgeben wollte. Fred Stein erhielt den Auftrag, Politiker wie Konrad Adenauer, Heinrich Lübke und Ludwig Erhard sowie Künstler, Schriftsteller und Verleger wie etwa den jungen Axel Springer oder Rudolf Augstein zu fotografieren. Es scheint ihm schwer gefallen zu sein, so manchen deutschen Kopf für die Publikation abzulichten. Im Nachgang dieser Reise, in den Jahren 1962 bis 1967 erarbeitete der Fotograf eine Anthologie mit Auszügen aus bereits publizierten Texten bekannter Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die das Nazi-Regime, Faschismus und Rassismus kritisierten. Viele der Autoren wie etwa Walter Mehring, Alfred Kantorowicz, Bertolt Brecht und Hannah Arendt kannte er persönlich. Insgesamt sammelte Fred Stein über 200 Texte, denen er Porträtfotografien zur Seite stellen wollte. Der Titel des Buchs »Das war nicht unser Deutschland. Ein Lesebuch für die Kommenden« stand bereits fest und auch das Vorwort war schon geschrieben.
Das Projekt konnte dennoch nicht realisiert werden. Der Verlag Kurt Desch in München lehnte die Veröffentlichung ab: Eine Anthologie mit bereits publizierten Textauszügen sei keine Neuheit und die Auswahl der Texte lasse keine Stringenz erkennen. Der Verlag sollte Recht behalten; Fred Stein erhielt noch zwei weitere Absagen.
Die Enttäuschung für den ambitionierten Fotografen muss groß gewesen sein. Das Projekt fand keinen Abschluss, weil er kurz darauf verstarb. Anstatt einer Anthologie hinterließ Fred Stein Porträt- und Momentaufnahmen, die Zeugnis von seinem Leben im Exil ablegen und nun in unserer Ausstellung »Im Augenblick« zu sehen sind.
Jihan Radjai, Co-Kuratorin der Ausstellung