Das Fest der Befreiung an der Front
Am gestrigen Montagabend, 14. April 2014, hat das achttägige Pessach-Fest begonnen. Den Auftakt bildet jedes Jahr der Seder-Abend, dessen Name sich vom hebräischen Wort seder = Ordnung ableitet, weil dieser Abend in einer besonderen rituellen Abfolge begangen wird.
Das rituelle Programm des Seder-Abends ist in einem oft hübsch illustrierten Buch beschrieben, der Haggada. (Ganz besonders kostbare Haggadot zeigen wir übrigens in unserer aktuellen Sonderausstellung »Die Erschaffung der Welt«, und warum auch eine eher unscheinbare Haggada für ein Museum von großem Wert sein kann, hat unser Archivleiter kürzlich in seinem Blogbeitrag beschrieben). Aus der Haggada werden die traditionellen Texte und Lieder rezitiert. Auf den Tisch kommen symbolische Speisen und Getränke, die an bestimmten Zeitpunkten des Abends eingenommen werden.
Was aber unterscheidet diese Nacht von all den anderen Nächten? Diese Frage stellen sich Juden rund um den Globus und Jahr für Jahr beim Seder-Mahl. Die Antwort lautet: Es ist das Fest der Befreiung, erinnert es doch an den Auszug der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei. Jeder soll sich so fühlen, als ob er selbst und noch einmal aus Ägypten ausziehen würde. Um die gewonnene Freiheit symbolisch zu würdigen, lehnt man sich beim Essen und Trinken zum Beispiel gemütlich zurück. Eine Haltung, die in der antiken Welt nur den Freien, nicht aber den Sklaven vorbehalten war.
In unserer Dauerausstellung zeigen wir in diesem Jahr ein Foto, das bei einem Seder-Abend im Jahr 1917 aufgenommen wurde. Allerdings strahlt die darauf abgebildete Gesellschaft wenig Gemütlichkeit aus. Auch feierten die Menschen auf dem Bild nicht im trauten Kreis der Familie oder unter Freunden. Das Foto zeigt deutsche Soldaten, die im ersten Weltkrieg an der Ostfront kämpften.
Der Feldrabbiner Jacob Sonderling organisierte für sie eine Seder-Tafel im Schloss-Theater in Jelgava (deutsch: Mitau, heute Lettland). Neben den traditionellen Texten stimmten die Männer an dem Abend auch das »Niederländische Dankgebet« an, eines der Lieblingslieder des Kaisers, in dem um Gottes Beistand im Kampf gebeten wird.
Seit dem 1. Juli 1915 hatten deutsche Truppen die Kleinstadt Jelgava, die damals zum Russischen Reich gehörte, besetzt und als militärischen Stützpunkt genutzt. Die Mehrheit der ansässigen Bevölkerung musste die Stadt verlassen, in ihre Häuser zogen deutsche Militärs. Wir können heute kaum erahnen, welche Gefühle und Gedanken die deutsch-jüdischen Soldaten begleiteten, die an diesem Ort das Fest der Befreiung feierten.
Monika Flores Martínez und Julia Kouzmenko, Dauerausstellung
PS: Wir danken herzlich Aldis Barševskis vom Ģ. Eliass Kunstmuseum und Museum der Stadt Jelgava für die Unterstützung bei der Recherche.
Weitere Sammlungsobjekte zu dem Seder-Abend in Jelgava finden Sie auch in unseren Online-Sammlungen.