Eine außergewöhnliche Schenkung
Letzte Woche nahm unser Stifter Fred Kranz auf Einladung des Museums an zwei Archivworkshops teil, bei denen er einer Schulklasse aus dem sächsischen Döbeln sowie einer Klasse aus Berlin-Tegel begegnete. Es war bereits das fünfte Mal in den letzten Jahren, dass Herr Kranz, der 1938 in Berlin geboren wurde, aus den USA anreiste, um mit Schülern über sein Leben und das seiner Eltern zu sprechen. Die dreiköpfige Familie Kranz hatte den Krieg auf einem Bauernhof im brandenburgischen Dorf Kallinchen am Motzener See überlebt, bei einem ehemaligen Mitarbeiter seines Vaters.
Bereits 2004 hat Fred Kranz dem Museum eine Sammlung von Dokumenten und Fotografien gestiftet, die jüdisches Leben in Berlin in den ersten Nachkriegsjahren auf beeindruckende Weise dokumentieren. Bei seinem jüngsten Besuch übergab er uns ein ganz besonderes, ja einmaliges Objekt. Die ergreifende Geschichte dazu wollen wir hier in seinen eigenen Worten wiedergeben:
Die Herkunft des Medaillons mit dem Heiligenbild
Im Herbst 1942 wohnten meine Eltern und ich in Berlin-Mitte, Fehrbelliner Straße 79. Ich war damals knapp vier Jahre alt und wollte herumlaufen und spielen, so wie andere Kinder meines Alters. Es gab zwar einen Spielplatz in unserer Nähe, der heute den Namen Teutoburger Platz trägt, aber den durften Juden nicht benutzen.
Da meine Mutter mir dennoch etwas frische Luft verschaffen wollte, nahm sie ab und zu mal ihren Judenstern vom Mantel ab und begab sich mit mir auf diesen Spielplatz. Während ich spielte, saß sie auf einer Bank und passte auf mich auf. Wie sie mir später erzählte, behielt sie äußerlich ihre Ruhe und benahm sich wie die anderen Mütter, aber innerlich hatte sie große Angst, erkannt und denunziert zu werden. Ich muss gestehen, dass ich nichts von ihrer Angst merkte, während ich mit den anderen Kindern spielte.
Während einer dieser Besuche auf dem Spielplatz kam ein Mann langsam auf meine Mutter zu. Natürlich erschreckte sie sich sehr, ohne es zu zeigen, denn sie hatte das Gefühl, dass es sich um einen Gestapo-Agenten handelte. Der Mann ging langsam und ganz nahe an ihr vorbei, ohne sie anzusehen oder zu grüßen und drückte ihr schnell und unbemerkt von Anderen etwas in die Hand. Während dieser paar Sekunden hörte sie von ihm das hebräische Zitat: »Al tirah avdi Yaakov!« (אל תירא עבדי יעקב) Meine Mutter war überrascht, aber der Mann war dann plötzlich weg.
Erst als wir wieder zu Hause waren, sah sich meine Mutter an, was dieser Mann ihr zugesteckt hatte und war erstaunt, dass es ein Medaillon mit einem Heiligenbild (wahrscheinlich von Maria) war. Es hing an einer Kette und war teilweise von einem Lederetui umhüllt. Das etwas abgeriebene Medaillon muss wohl oft zum Beten benutzt worden sein.
Meine Mutter bewahrte dieses Medaillon auf und nahm es mit, als wir im Dezember 1942 in die so genannte Illegalität in Brandenburg gingen und dort bis Kriegsende im Versteck überlebten. Seit dem Tod meiner Mutter habe ich es aufbewahrt und freue mich nun, es dem Jüdischen Museum Berlin zu übergeben, damit es zur Geschichte der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung von Berlin beitragen kann. Für meine Mutter und mich war dieses Medaillon immer ein Symbol der Hoffnung und der Nächstenliebe trotz der schrecklichen Umstände damals, als es zu uns kam.
Übrigens stammt das hebräische Zitat, das der unbekannte Mann damals meiner Mutter zusprach, aus dem Buch des Propheten Jeremia, Kapitel 46,Vers 28 und wird in der Luther-Bibel wie folgt übersetzt: »Darum fürchte Dich nicht, Du, Jakob, mein Knecht, spricht der Herr, denn ich bin bei Dir.«
Fred Kranz
Wir sind Fred Kranz sehr dankbar für die Stiftung dieses außergewöhnlichen Objekts.
Aubrey Pomerance, Archivleiter