Veröffentlicht von am 30. Januar 2015 4 Kommentare

Davids Beschneidung: Warum auch ein Fragezeichen eine Geschichte erzählen kann

Ergänzend zu unserer aktuellen Sonderausstellung »Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung in Deutschland« hat sich das Team von Blogerim auf die Suche nach jüdischen und muslimischen Interviewpartnern gemacht, die aus ihrer ganz persönlichen Sicht über das Thema berichten können. Weil sie sich für die Beschneidung ihres Sohnes entschieden haben oder dagegen. Wir hörten uns in unserem Bekanntenkreis um, starteten einen Aufruf in unseren Netzwerken und bekamen diverse Rückmeldungen. Einige der Erzählungen, die zunächst zum Schmunzeln anregten, haben uns auch nachdenklich gestimmt – so wie die Geschichte von David.

Schwarz-weiß Fotografie: Ein Mann und zwei Jugendliche spielen Backgammon

Shlomit lernte David im Jüdischen Jugendzentrum Joachimstaler Straße in Berlin kennen. Auf diesem Foto ist ein Bildungsreferent des Jugendzentrums beim Backgammonspiel mit Jugendlichen zu sehen, Berlin 1992 © Foto: Michael Kerstgens, Jüdisches Museum Berlin

Von David erzählte uns Shlomit Tulgan, eine Kollegin aus der Bildungsabteilung, die ihn als Jugendliche kennen gelernt hatte. Er sei Sohn einer assimilierten jüdischen Mutter gewesen und habe sich im Alter von 22 Jahren für eine Beschneidung im Jüdischen Krankenhaus Berlin entschieden. Seine Begründung für diese Entscheidung war damals: Er wolle »zu seinen Wurzeln zurückkehren und das nachholen was seine Eltern ihm verwehrt haben«. David sei »kein Kind von Traurigkeit« gewesen, erinnert sich Shlomit, die ihn vor allem im Jugendzentrum der Jüdischen Gemeinde Berlin in der Joachimstaler Straße traf. Fast jeden Monat war er in ein anderes jüdisches Mädchen verliebt und trotz seines aktiven und sprunghaften Beziehungsverhaltens bei den Frauen sehr beliebt. Entsprechend groß war die Anteilnahme im Jüdischen Jugendzentrum, als Davids Beschneidung schließlich durchgeführt wurde. Während der junge Mann sich im Krankenbett von dem Eingriff erholte, habe sein libanesischer WG-Freund Salim die Besuchszeiten koordiniert – um zu vermeiden, dass David vom gesamten Jugendzentrum auf einmal überrannt wurde.

Schwarz-weiß Foto: Jugendliche sitzen auf dem Boden und auf Stühlen

Szene aus dem Jüdischen Jugendzentrum in Berlin
Foto: Michael Kerstgens. Gäste einer Chanukka-Party im Jugendzentrum Joachimstaler Straße, Berlin 1992 © Jüdisches Museum Berlin

Auch Shlomit wollte David gemeinsam mit drei Freundinnen besuchen und meldete sich bei Salim für einen Termin. Dessen Antwort ernüchterte: »David lässt ausrichten, dass er Euch nicht sehen will.« Auf die enttäuschte Frage »Warum?« erwiderte Salim mit einem leidenden Gesichtsausdruck: »Momentan bekommt David beim Anblick schöner Frauen zu starke Schmerzen.« Die Erzählerin meinte, dass sie die mitfühlenden Gesichtsausdrücke mit den ›oooh’s‹ und ›uuuh’s‹ ihrer Freundinnen noch immer lebhaft erinnere.

So weit, so kurzweilig: Die kleine Anekdote machte uns neugierig und wir versuchten, mehr über David zu erfahren – was war die Geschichte hinter der Geschichte? Unsere Kollegin erzählte uns von seiner Mutter, die amerikanische Jüdin war und im Berliner Hauptquartier der US-amerikanischen Truppen, dem Dienstsitz der Navy arbeitete. Sie starb an Krebs, als David gerade einmal zwölf Jahre alt war. Sein deutscher, nicht-jüdischer Vater hatte sowohl die Beschneidung als auch die Bar Mitzwa verboten. Das habe David ihm sehr nachgetragen und schließlich auch den Kontakt zu ihm abgebrochen.

Fotografie eines Gebäudes

David ließ sich im Jüdischen Krankenhaus in Berlin beschneiden.
CC-BY-SA 3.0 A.Savin

Vor 20 Jahren wanderte David dann nach Israel aus – mit der Emigration hat unsere Kollegin Shlomit leider auch den Kontakt zu ihm verloren. Mittlerweile soll er weiter in die USA gezogen sein und als amerikanischer Soldat auf einem Kriegsschiff in der Golf-Region dienen. Er sei eben schon immer »sehr speziell gewesen, aber ein sehr lieber Kerl«, meint sie.

Gerne hätten wir mit David (der eigentlich anders heißt) persönlich gesprochen und mehr über sein anscheinend bewegtes Leben erfahren. Aber wir fanden den geringen Einblick in seine Geschichte, den uns Shlomit mit ihrer Anekdote verlieh, auch bereits so interessant, dass wir ihn den Leserinnen und Lesern unseres Blogs nicht vorenthalten wollten.

Alice Lanzke, Medien

Kommentiert von Wanda Schlafstein am 16. Februar 2015, 19:40 Uhr

Nachtigall, ick hör‘ Dir trapsen! Auf was für wundersame Weise dieser „David“ unauffindbar verschwand… Ich denke mal, den Kerl hat’s nie gegeben, und Eure Kollegin wollte sich einfach nur interessant machen!

Kommentiert von Shlomit Tulgan am 17. Februar 2015, 09:13 Uhr

Liebe Wanda,Du bist von mir herzlich dazu eingeladen mit mir bei einem Kaffe eine Odyssee durch mein privates Fotoalbum zu machen. David posiert hier in vielen Bildern mit einigen meiner Freundinnen die Du auch gerne treffen kannst. Auch sie genießen es noch immer von David zu erzählen. Aber womöglich kennst Du ja David doch und Du gehörst zu den wenigen mit denen David nicht geflirtet hat. Anders kann ich Deinen Missmut gerade nicht interpretieren. :-)

Kommentiert von Omer Tulgan am 17. Februar 2015, 10:16 Uhr

Hallo Wanda!
Ich bin Shlomits Vater und kann mich sehr lebhaft an teenager-time meiner Tochter erinnern. David war ein willkommener Gast in unserem Haus und ich hatte viele interessante Unterhaltungen mit ihm. Wie ich mich erinnere sah er eigentlich sehr real aus :) Ich kann bestätigen dass er ein lieber und sehr spezieller Mensch war.
Purim sameach!
Omer

Kommentiert von Ilana am 18. Februar 2015, 18:28 Uhr

Eigentlich schade über Deine so negative Ausrichtung Wanda.
Ich bin nämlich einer der Frauen, die mal von ihm einen Heiratsantrag bekommen hat. Sowohl ihn als auch den Heiratsantrag in einer Pizzeria werde ich nie vergessen…

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