In wenigen Stunden eröffnet die Ausstellung »Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke & Peter Greenaway«. Sie bezieht sich auf die biblische Geschichte von Stammvater Abraham, der bereit ist, Gottes Befehl zu befolgen und seinen Sohn zu opfern – dies aber schließlich doch nicht tut. Während die Installation noch aufgebaut wird, ist der Katalog soeben frisch aus dem Druck gekommen. Er umfasst einen Bildband, der von Peter Greenaway gestaltet wurde, sowie eine Essaysammlung. Inmitten des Trubels legte der Künstler und Filmemacher nun eine kurze Pause ein, um sich mit Mirjam Wenzel über die Bedeutung der biblischen Geschichte und den Zusammenhang von Text, Bild und Blut zu unterhalten.
Mirjam Wenzel: Die biblische Geschichte in Genesis 22 nimmt eine unbequeme Stellung innerhalb der jüdischen Erinnerung ein und hat jahrhundertelang theologische Debatten und künstlerische Interpretationen provoziert. Schon lange haben wir darüber nachgedacht, eine Ausstellung über diese Geschichte und ihre Rezeption zu machen. Was war Ihr erster Gedanke, als wir mit dieser Idee an Sie herangetreten sind? Wie verstehen Sie den Bibeltext?
Peter Greenaway: Ich denke, wenn man eine Ausstellung macht, sind Form und Sprache mindestens genauso bedeutend wie der Inhalt. Inhalte sind immer beweglich, veränderbar und stets subjektiv. Der Inhalt dieser Geschichte hat sehr viele Bedeutungen und unendliche Variationen und Interpretationen erfahren, die für viele Zwecke verwendet wurden.
Es gibt nicht die eine Bedeutung. Die Bedeutung dieser Geschichte ist schwer fassbar, vielleicht sogar mit Absicht. Der Inhalt handelt kurioserweise von einem Nicht-Ereignis, von einer Aktion, die niemals stattfand. Abraham wurde aufgetragen, seinen Sohn nicht zu töten.
Ich stehe jedweder Form religiösen Glaubens skeptisch gegenüber, denn ich verstehe Religionen als lokale Erscheinungsformen bestimmter politischer Umstände, in denen lokale Bedürfnisse oder Wünsche zum Ausdruck kommen. Und wenn man davon überzeugt ist, dass es keinen Gott gibt, ja dass jedwede Gottheit eine menschliche Schöpfung ist, die für einen menschlichen Zweck geschaffen wird, dann schrumpft die Bedeutung der gesamten biblischen Geschichte: Sie wird zu einer Fabel, zu einem Mythos, der bestimmten Absichten dient: Es handelt sich um eine Anekdote über ein Nicht-Ereignis, das von einem nicht-existierenden Gott in Gang gebracht wurde – eine sehr irdische Angelegenheit. Doch diese Anekdote hat viele Fantasien angeregt. Und deshalb kann und sollte sie in der Tat Gegenstand einer Ausstellung sein.
Wenn Sie die gesamte biblische Geschichte so verstehen – wer ist dann Gottes Bote, der Abraham davon abhält, seinen Sohn zu töten, sprich der Engel, der die Tat verhindert?
Der Engel soll erst sehr spät in die Geschichte eingefügt worden sein; er ist ein Symbol, das es in im originären Text wohl nicht gab. Nach meinem Verständnis ist der Engel eine Stimme des Gewissens, der diese inakzeptable Geschichte, die jeder Zivilisation gegen den Strich geht, lindern und verbessern soll. Ein Kunstgriff, um die menschlich inakzeptablen Wünsche ›der Älteren‹ abzuschwächen, die mit waghalsigen Machtspielchen ihre Autorität stärken wollen.
Sie erwähnten, dass Sie grundsätzlich mehr an der Form interessiert sind, was auch in dem farbenprächtigen Bildband deutlich wird, der zur Ausstellung erscheint. Das Buch zeigt verschiedene Bilder der Bindung Isaaks, insbesondere Details barocker Gemälde, und verbindet diese mit Ihren eigenen Kunstwerken, mit Familienfotos und Standbildern aus der »I am Isaac«-Installation in der Ausstellung. Warum haben Sie sich dafür entschieden, bestehende Bilder aufzugreifen und neu zu kontextualisieren?
Ich komme vom Kino und habe mir immer gewünscht, dass das Kino Bildern den Vorrang gibt. Wir aber haben ein textbasiertes Kino. Jeder Film, den Sie je gesehen haben, beginnt sein Leben als Text. Ich aber habe die Hoffnung, mit diesem Katalog erneut dem Bild den Vorrang zu geben. Wir haben einen Katalog gemacht, der nur ganz wenig Text enthält. Im Zeitalter digitaler Vorstellungen von Bildung und Wissen gibt es immer noch ein großes Bedürfnis, Bilder mit Text zu unterstützen, als ob das Bild allein nicht mächtig oder nicht verständlich genug wäre. Wir sind alle sehr erfahren und über Sprachgrenzen hinweg belesen, wenn es um Texte geht – nicht aber um Bilder. Hier macht es eher den Anschein, als seien wir visuelle Analphabeten. Am Anfang war aber das Bild, nicht der Text. Gott trug Adam auf, alles zu benennen. Wie hätte Adam Text erfinden können, wenn es nicht schon Bilder gegeben hätte?
Zwei Motive sind im Bildband visuell von Bedeutung: Das erste ist Blut. Ihre Bilder und das ganze Buch sind in Blut getaucht: Wessen Blut ist das?
Die blutigen Bilder im Katalog spiegeln die blutigen Bilder in der Ausstellung. Wenn Zivilisation scheitert, fließt Blut. Denken Sie an all die Blutdramen in der Geschichte, im Leben, in der Malerei und im Theater und denken Sie an die blutigen Bilder in allen darstellenden Künsten – omnipräsent, allgegenwärtig, universell.
Das andere Motiv, das heraussticht, findet sich auf der letzten Seite des Katalogs: Während alle anderen Bilder den Moment des Innehaltens vor dem Mord darstellen, zeigt die letzte Fotografie, wie ein Gefangener enthauptet wird.
Dabei soll natürlich mitschwingen, was in jüngster Zeit in der Welt geschieht. Aber das Bild der Enthauptung reflektiert auch etwas, was allgemeine kulturelle Praxis ist. Es geht um die ultimative Vorstellung, das Gehirn, den Geist, die Vorstellungskraft oder die Seele vom Rest des Körpers zu trennen. Das ist ein sehr machtvolles Bild, das über alle Sprachen und alle kulturellen Grenzen hinweg verstanden wird.
Ich habe selbst vier Kinder und die Vorstellung, sie zu opfern, ist absolut unzumutbar. In meinem Empfinden ist es nicht genug, wenn man diese Geschichte allein der jüdischen, christlichen oder muslimischen Tradition zuschreibt. Denken und Fühlen vom Körper abzuschneiden – das ist eine Geschichte der Versagung: denke nicht, fühle nicht, widerspreche nicht – sei gehorsam. Es ist die Geschichte alter Männer, die Gehorsam fordern und junge Männer in den Krieg schicken.
Zum Schluss noch eine ganz andere Geschichte. Sie betrachten den Bildband zur Ausstellung als Greenaway-Katalog Nr. 29 von 92. Was ist das Konzept dieser Reihe von 92 Katalogen?
Es macht mir Spaß, Kataloge zu gestalten. Ein Katalog ähnelt einem Film in Buchform: die Seiten sind die Einstellungen, das Umblättern gleicht der Bewegung im Film. Vielleicht ist es gar eine Form, die dem Film überlegen ist, weil man auch rückwärts blättern und seiner eigenen Geschwindigkeit folgen kann und nicht nur der des Filmemachers. Ich habe mir vor einigen Jahren vergenommen, dass ich versuchen würde, ein Regalbrett mit 92 Katalogen zu füllen, die vornehmlich aus Bildern bestehen, und für mich in Bezug zu einem Projekt stehen, welches die Bedeutung von Uran zeigt. 92 ist die Ordnungszahl von Uran. Bei der angestrengten Suche nach einer Energieform, die die Weltzivilisation für weitere tausende von Jahren erhalten wird, werden wir, glaube ich, zum Uran als Energiequelle zurückkehren. Und aus der Perspektive unseres heutigen Wissensstandes wird dies entweder zur Erschaffung oder zur Zerstörung der Zivilisation führen. Nirvana oder Armageddon. Die 92 Publikationen oder Kataloge – zu allen Arten von Ausstellungen, Filmen und Gemäldeschauen –, von denen der vorliegende die Nummer 29 ist, spiegeln diesen Wissensstand.
Das Gespräch inmitten der Aufbauarbeiten zur Ausstellung führte Mirjam Wenzel, Medien