»Kunst muss unter die Leute«

Die »HeimatReisen« von Joachim Seinfeld

Joachim Seinfeld steht mit einem Hammer an einem Tisch, auf dem ein Holzrahmen liegt

Joachim Seinfeld bei der Arbeit in seinem Atelier im ehemaligen Funkhaus Berlin; Jüdisches Museum Berlin Foto: Michaela Roßberg

Das Wunderbare an Berlin ist für mich als Historikerin, dass an jeder Ecke neue Orte warten, die mich beeindrucken und mein »historisches Herz« höher schlagen lassen. Dieses Jahr lernte ich wieder einen dieser Orte kennen, als ich Joachim Seinfeld für ein Interview in seinem Atelier im alten Funkhaus im Bezirk Treptow-Köpenick besuchte, um mit ihm über »HeimatReisen«, sein Projekt für den Kunstautomaten des Jüdischen Museums Berlin, zu sprechen (mehr Informationen zum Kunstautomaten auf unserer Website).

Eingangsbereich mit einer Wand voller Uhren.

Der Eingangsbereich des Funkhauses wurde mit Marmorplatten aus der Neuen Reichskanzlei gebaut; Foto: Michaela Roßberg.

Das Funkhaus in der Nalepastraße ist ein besonderer Ort: Ab 1956 produzierten und sendeten von dort aus alle überregionalen Sender der ehemaligen DDR. Nach 1991 nahmen in diesem Gebäude die neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihre Arbeit auf und nach vielen Besitzerwechseln steht das Gebäude nun Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt offen, die in den ehemaligen Büros ihre Ateliers eingerichtet haben.

Lieber Joachim, deine Fotoserie, die Besucherinnen und Besucher im Kunstautomaten des Jüdischen Museums Berlin erwerben können, besteht aus mehreren Bildern, die dich selbst an verschiedenen Orten in Deutschland zeigen. Warum hast Du aus allen Deinen Arbeiten gerade diese Aufnahmen für den Kunstautomaten gewählt?

Es gab bereits 2006 eine Fotoserie, die sich auf Polen bezog. 2011 hatte ich die Idee, eine ähnliche Reihe auch für Deutschland machen. Ich wollte diese Serie also sowieso machen und habe die für mich interessantesten Bilder ausgewählt.

Dann sind die Orte, an denen Du auf Deinen Bildern zu sehen bist, auch gleichzeitig Stationen aus Deinem Leben?

Polen, Deutschland und Italien sind Länder, in denen ich länger war und mit denen mich Wichtiges verbindet. Ich wollte aus der Serie zu diesen Ländern immer eine Trilogie machen. Die Bilder sind meist an Orten entstanden, an denen ich mich länger aufgehalten habe oder in der Nähe dieser Orte. Ich komme aus München, habe in Italien, dann in Oldenburg gewohnt, habe zwei Jahre in Polen gearbeitet und lebe nun schon lange in Berlin. Die veränderten bzw. ergänzten Bilder der Orte in HeimatReisen spielen mit den Vorstellungen, den Klischees eines vermeintlich typischen Deutschlands.

Also ist mit dem Titel HeimatReisen nicht gemeint, dass Du diese Orte als deine Heimat bezeichnest?

Dosen mit Fotoemulsion und Fotoabzügen


Dosen mit Fotoemulsion und einigen Exemplaren von »HeimatReisen – Berlin Friedrichshain«; Foto: Michaela Roßberg

Nein, wenn ich über den Begriff Heimat nachdenke, kann ich mich am ehesten in dem Wort Jurt wiederfinden. Es ist das türkische Wort für Heimat und die Jurte, das Zelt, welches Nomaden als Behausung mit sich führen, ist daraus abgeleitet. Es ist Heimat, die man mit auf Reisen nehmen kann. Eben HeimatReisen.

Der einzige Ort, an dem ich so etwas wie »Heimatgefühle« bekomme, ist in den Bergen, der Landschaft meiner Kindheit. Heimat ist für mich mehr ein Gefühl als ein bestimmter Ort. Es hängt eher mit den Stationen meines Lebens zusammen. Und ist mit Sicherheit nicht an ein Nationalgefühl gebunden.

Wäre dein Verständnis des Begriffs Heimat für Dich ein anderer, wenn Du nicht in Deutschland leben würdest?

Gut möglich.  Das Problem ist, dass der deutsche Begriff durch die deutsche Geschichte und die Besetzung des Wortes völlig diskreditiert ist. Dabei ist Heimat durchaus ein schöner Begriff, denn er hat etwas mit »zu Hause« zu tun, mit dem Heim. Ich finde das wesentlich angenehmer als beispielsweise »patria«, was auf Italienisch Vaterland bedeutet. Da habe ich irgendwie gleich den Gedanken an Stechschritt im Hinterkopf.

Andere Länder haben oft eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Begriff Heimat. Ist es also eher ein »deutsches Problem«?

In gewisser Weise ja, aber ich persönlich habe auch bei anderen Ländern ein Problem damit. Vor allem, wenn der Begriff Heimat in die Nähe von Patriotismus gerückt wird. Meiner Meinung nach ist das Wort Patriotismus immer ganz eng mit dem Gedanken verbunden, dass man das eigene Land besser findet als andere, dass man glaubt besser zu sein als andere. Ich denke, dass man sich heutzutage, wo das Reisen leichter geworden ist und man viel mehr Eindrücke in sich aufnimmt, nicht mehr in dieser Form auf die Heimat beziehen muss. Ich glaube, man kann seine Identität auch woanders herbekommen.

Was möchtest Du mit den Werken sagen? Ich habe mich als Betrachterin gefragt: Was willst Du mir beispielsweise mit  dem Werk »Oldenburg« sagen? Etwa, dass es in der Stadt viele Nazis gibt?

Ein Mann mit Bierflasche in der Hand sitzt vor einer Wand mit der Aufschrift »Fleischerei Sünkler« und dem Graffiti »Ein Baum, ein Strick, ein Nazigenick«

Joachim Seinfeld: HeimatReisen – Oldenburg; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Die Arbeiten beinhalten viele Facetten und Diskussionen, die ich durchaus mit Ironie aufgreife. HeimatReisen bedeutet auch, dass die Bilder Dinge enthalten können, die ich wie ein Reisender, ein Beobachtender aufgenommen haben könnte. Natürlich ist die Inszenierung bei »Oldenburg« ein totales Baden in Klischees, das mache ich ja generell gerne. Aber es gibt immer einen Bezug, sei es zur Geschichte oder zu aktuellen Entwicklungen. Zum Beispiel war Oldenburg neben Weimar eine der Städte, die bereits vor 1933 eine NDSDAP-Verwaltung hatten und das Oldenburger Land war in den 1990ern ein Tummelplatz für Kameradschaften.

Aber was soll sich ein Betrachter bei der Ansicht Deiner Bilder denken? Hast Du etwas Bestimmtes im Sinn?

So funktioniert Kunst nicht. Man macht Kunst nicht, weil die Leute etwas Bestimmtes sehen sollen. Das ist dann didaktisch-pädagogische Arbeit oder AgitProp. Man macht einfach Kunst, drückt seine Gedanken, Ideen in der gewählten Form aus, und wenn die Leute etwas darin gesehen haben, am besten das, was man intendierte, hat man Glück gehabt. Als Künstler muss man das Risiko eingehen, dass Betrachter etwas in die Kunst hinein interpretieren, das komplett an der eigenen Idee vorbeigeht.

Ich weiß schon, warum ich keine Künstlerin bin, das wäre mir zu unsicher.

Man arbeitet ja nicht völlig ins Blaue hinein, sondern bekommt auf verschiedene Arten Feedback. Wenn Du zwanzig Jahre Kunst gemacht hast und niemand was von dir anschauen will, ist das ja auch eine Art Reaktion.

Warum bist es immer Du selbst, der in die Bilder hineingearbeitet ist?

Ein »Superman« steht neben einer umgetretenen Ampel an einer Straße

Joachim Seinfeld: HeimatReisen – Berlin Friedrichshain; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Erstens macht  es mir unglaublich Spaß, Theater zu spielen. Und zweitens bin ich der Meinung, dass alle Aspekte einer Gesellschaft eine Person prägen, warum sollte ich also andere Personen für die Inszenierung nutzen? Es geht ja im Fall von HeimatReisen um exemplarische Bilder und da ist es relativ egal, wer zu sehen ist. Natürlich bringe ich auch individuelle Aspekte mit rein, wie beispielsweise den »Superjuden« in »Friedrichhain«. Wobei der »Superjude« in dem Fall eine Ampel umgetreten hat, was ja eigentlich eine komplett unsinnige Aktion war. Trotzdem ist er sehr zufrieden. Manchmal nimmt man sich halt zu wichtig. (lacht)

Ist es für Dich als Künstler befriedigend, wenn Deine Kunst per Automaten in einem Museum für sechs Euro verkauft wird?

Ja, ich finde die Idee vom Kunstautomaten grandios. Kunst muss unter die Leute. Sie ist nicht nur für Reiche, sondern sollte allen Menschen zugänglich sein, auch außerhalb von Museen.

Michaela Roßberg empfiehlt die wunderbare Milchbar im Funkhaus. Die kleine Kantine ist auch für Externe offen.

Mehr Informationen über Joachim Seinfeld auf seiner Website http://joachimseinfeld.com

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