Veröffentlicht von am 9. März 2017 0 Kommentare

»Das Vertraute im Fremden suchen«

Workshops für junge Geflüchtete

Ob auf Hebräisch, Arabisch oder Deutsch – es gibt viele Möglichkeiten seinen Namen zu schreiben; Foto: privat

Was steht in einem jüdischen Hochzeitsvertrag, wie verschafft man sich als Minderheit mehr Rechte und warum wird Chanukka acht Tage lang gefeiert? Bei meiner Arbeit als Guide im Jüdischen Museum Berlin geht es darum, wie man den Objekten Geschichten entlockt, und natürlich geht es auch um Sprache. Das erste, was ich gemacht habe, als ich vor knapp vier Jahren anfing hier zu arbeiten, war, „Wiederkäuer mit gespaltenen Hufen“ auf Französisch nachzuschlagen. Diesen Begriff sollte man nämlich parat haben, wenn man französischsprachigen Gruppen die jüdischen Speisegesetze erklären möchte. Mein Französisch half mir jedoch nur wenig, als ich im August 2016 die ersten Workshops für Willkommensklassen durchführte.

Nun galt es also, Workshops für Jugendliche zu machen, deren Deutschsprachkenntnisse auf dem Level »A1« lagen, wie mir die Lehrer erklärten. »A1« – was heißt das? Mir sagte es erst einmal nichts. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es bedeutete, dass die Schüler*innen Worte wie »Kerzen« und »Feiertag« nicht kannten. Ich nahm einige arabische Wörter zu Hilfe, die ich kannte. Mein Mini-Wortschatz enthielt  »yahud« (Jude), »Al-Quds« (Jerusalem), und ein paar

Die geflüchteten Jugendlichen schreiben ihre Namen auf T-Shirts, die sie am Ende mitnehmen dürfen; Foto: privat

Höflichkeitsfloskeln wie »hallo«, »tschüss«, »bitte« und »danke«. Außerdem setzte ich viel Gestik und Mimik ein, um bestimmte Tätig­keiten wie das Anzünden der Kerzen oder das Schreiben einer Tora-Rolle zu demon­strieren. Teilweise war ich frustriert und dachte mir, dass die Teilnehmer*innen während des Workshops redefreudiger gewesen wären, wenn es eine gemeinsame Sprache gegeben hätte. Die Teenager hätten zweifellos in ihrer Muttersprache längeren Ausführungen über Themenbereiche wie Architektur und Geschichte folgen können.

Zwei spezielle Workshops für Willkommens­klassen hatte ich im letzten Jahr dabei mehrmals durchgeführt: den Backworkshop, bei dem traditionelle Schabbatbrote zubereitet werden, und den T-Shirt-Workshop, bei dem die Schüler*innen weiße T-Shirts mit arabischen, hebräischen und lateinischen Buchstaben bedrucken können. In der Regel führte ich die jungen Geflüchteten zunächst durch die Dauer­austellung  zum Thema „Schabbat“ beziehungsweise „Hebräisch“. Danach hatten die Schüler*innen die Möglichkeit, selbst kreativ zu werden: Entweder buken sie Hefezöpfe, „Challot“, wie man sie für den jüdischen Ruhetag vorbereitet oder sie druckten ihre Namen mit hebräischen Buchstaben auf T-Shirts.

Beim praktischen Teil des Workshops fiel die Sprachbarriere selbstverständlich kleiner aus. Statt zu erklären, wie man Teig flicht, machte ich es einfach vor, und die Jugendlichen hatten keine Probleme, ihre eigenen Hefezöpfe herzustellen. Tatsächlich musste ich sie nach einem Backworkshop meistens nicht dazu auffordern, die Küche zu putzen, sondern sie griffen selbst zu Besen und Lappen. Die 39 verbotenen Arbeiten am Schabbat konnten wir pantomimisch darstellen, das ist sowieso Bestandteil des Workshops. Außerdem hatte ich ein Kinderbuch mit Illustrationen dabei, welches diese Tätigkeiten veranschaulichte. Jedoch gingen komplexere Konzepte – zum Beispiel, dass der Empfang des Schabbats häufig mit dem Besuch einer Königin verglichen wird, und die Wohnung dementsprechend vorbereitet wird – vermutlich  auf der rein verbalen Ebene leider verloren.

Jacob Goldzweig, Biblische Karte des Heiligen Landes; Jüdisches Museum Berlin, Sammlung Löwenhardt-Hirsch, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, Foto: Jens Ziehe

Den Hebräisch-Workshop stellte ich mir im Vorfeld als mögliches Konfliktfeld vor, da Hebräisch hauptsächlich in Israel gesprochen wird – einem Land, das von seinen arabischen Nachbarn  im Nahen Osten nicht ganz ohne Vorbehalte betrachtet wird. Und da einige der geflüchteten Jugendlichen aus eben diesen Ländern stammten, war ich auf Ablehnung vorbereitet. Die angenehme Überraschung war jedoch, dass die Jugendlichen viel mehr nach Gemeinsamkeiten zwischen Arabisch und Hebräisch suchten, als dass sie politische Statements abgeben wollten. So wurde unter anderem betont, dass beide Sprachen von rechts nach links geschrieben werden und sich einige Buchstaben sogar sehr ähneln. Bei manchen Workshop-Durchgängen schaute ich mir mit den jungen Geflüchteten eine hebräisch beschriftete Karte vom Nahen Osten an. Während deutsche Schüler*innen erfahrungsgemäß einige Minuten brauchen, um Israel zu lokalisieren und seine Nachbarländer zu benennen, erwies sich die Herkunft der Schüler*innen aus den Willkommensklassen hierbei als »Heimspiel«: Der Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten wurden von ihnen immer sofort erkannt und benannt.

Die besten Erfahrungen – was für mich so viel bedeutet wie: begeisterte Gesichter und Schüler*innen, die sich bemühen, trotz Sprachbarriere, mit mir über internationale Wörter wie zum Beispiel »Islam« zu kommunizieren – machte ich regelmäßig in einer kleinen Ecke des Museums, in der es kurze Filme zu Ritualen im Judentum, Christentum und Islam zu sehen gibt.

Foto eines Bildschirms. Zu sehen ist die Kaaba von Mekka und der Kopf von Abraham, der im Islam Ibrahim heißt.

Wie im Judentum auch, ist Abraham (»Ibrahim«) der Stammvater der islamischen Religion; Foto: privat

Hier werden unter anderem der Prophet Muhammed, der Koran und die islamische Pilgerfahrt erwähnt. Ich erinnere mich noch gut an eine Gruppe Jungs, die anfangs eher gelangweilt wirkten, sich aber die Filme auf eigene Initiative zwei Mal anschauten. Da musste ich schmunzeln: Sie erinnerten mich an die christlich sozialisierten Schüler*innen im Museum, die, wie magnetisch angezogen, immer vor dem Weihnachtsbaum im Familiensegment stehenbleiben – und damit, genau wie die Geflüchteten, das Vertraute im Fremden suchen.

 

Mehr Informationen zu unseren Angeboten für Willkommensklassen erhalten Sie auf unserer Website: https://www.jmberlin.de/workshops-willkommen-im-museum

Mirjam Beddig ist seit 2013 Guide im Jüdischen Museum und freut sich, wenn sie Jugendlichen einen kleinen Vorgeschmack auf Hebräisch geben kann und sie neugierig auf die Sprache werden.

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